Dreizehn bei Tisch
sie Veronal nahm, und zwar schon mindestens sechs Monate lang. Nehmen wir an, dass sie sich nach dem Mord nur zehn, fünfzehn Minuten getroffen und, um Carlottas Erfolg zu feiern, irgendetwas getrunken haben. Bei der Gelegenheit hat er die Menge Veronal in ihr Glas geschüttet, die einen ewigen Schlaf garantierte.«
»Grässlich«, sagte ich schaudernd.
»Ja, nett war es nicht.«
»Wollen Sie Japp dies alles erzählen?«
»Im gegenwärtigen Augenblick nicht. Was würde er mir denn antworten, der gute Japp? ›Ein neues Hirngespinst! Das Mädchen schrieb auf einen alten halben Bogen – basta!‹ C’est tout.« Schuldbewusst blickte ich zu Boden. »Bedenken Sie nur, Hastings, wenn dem Mörder Ordnung und Methode lieb gewesen wären! Dann hätte er die Seite schön säuberlich abgeschnitten und nicht abgerissen, und wir würden nichts gemerkt haben. Rein gar nichts!
Er muss in rasender Eile gewesen sein. Sie sehen hier oben an der linken Ecke, wo sogar ein Stückchen fehlt, wie flüchtig die Seite abgerissen wurde. Und jetzt besteht unsere Aufgabe darin, nach jemandem zu fahnden, dessen Name oder auch Spitzname mit D beginnt.«
24
A m folgenden Tag wurde uns zu unserer Überraschung Geraldine Marsh gemeldet. Sie sah, wenn möglich, noch bleicher aus als sonst, und unter den großen, dunklen Augen lagen schwarze Ringe, als hätte sie seit Wochen nicht geschlafen.
Armes Kind!, dachte ich, als ich ihr einen Sessel zurechtrückte.
»Ich komme zu Ihnen, Monsieur Poirot, weil ich es einfach nicht länger ertrage. Wenn Sie wüssten, welche Angst ich um Ronald habe!«
»Ja, Mademoiselle?«
»Er erzählte mir, was Sie damals zu ihm gesagt haben – ich meine, an dem furchtbaren Tag seiner Verhaftung.« Sie schauderte. »Ist es wahr, dass Sie in dem Augenblick, als er nur Zweifler um sich zu sehen glaubte, auf ihn zutraten und erklärten: ›Ich glaube Ihnen?‹ Ist das wahr, Monsieur Poirot?«
»Ja, so sagte ich.«
»Nicht darauf kommt es mir an. Ich will wissen, ob der Satz Ihrer ehrlichen Überzeugung entsprang… ob Sie seiner Schilderung wirklich glaubten.«
Die Hände ineinander verkrampft, lehnte sie sich weit nach vorn, und ihre Blicke hingen an Poirot.
»Mademoiselle, ich glaube nicht, dass Ihr Vetter Lord Edgware tötete«, entgegnete mein Freund ruhig.
»Oh!« Plötzlich rötete sich ihr Gesicht. »Dann müssen Sie denken, dass… dass es jemand anders war.«
»Evidemment, Mademoiselle«, erwiderte Poirot lächelnd.
»Verzeihung… ich bin dumm. So sollte meine Frage ja nicht lauten; ich habe mich unbeholfen ausgedrückt, Monsieur Poirot. Ahnen Sie, wer der Täter ist?«
»Natürlich habe ich meine Ideen. Einen gewissen Verdacht, wie man zu sagen pflegt.«
»Wollen Sie mich nicht einweihen? Bitte, bitte!«
Er schüttelte den Kopf.
»Wenn ich nur ein bisschen mehr wüsste!«, flehte das junge Mädchen. »Es würde mir wieder Mut geben. Und vielleicht wäre ich imstande, Ihnen zu helfen. Monsieur Poirot, sprechen Sie doch!«
Aber Poirot schwieg hartnäckig.
»Die Herzogin von Merton ist auch jetzt noch überzeugt, dass meine Stiefmutter den Mord beging«, sagte Geraldine Marsh nachdenklich und streifte Poirot dabei mit einem raschen fragenden Blick. »Doch ich wüsste nicht, wie das möglich wäre.«
»Darf ich Ihre Meinung über Ihre Stiefmutter wissen, Mademoiselle?«
»Nun – ich kenne sie kaum. Als mein Vater sich mit ihr verheiratete, war ich in Paris auf der Schule. Verbrachte ich meine Ferien daheim, so behandelte sie mich ganz nett. Oder um es beim richtigen Namen zu nennen: Sie nahm von meiner Anwesenheit keinerlei Notiz. Ich hielt sie für sehr dumm und gewinnsüchtig.«
Poirot nickte. »Sie erwähnten soeben die Herzogin von Merton, Mademoiselle. Haben Sie sie oft gesehen?«
»Ja. Sie hat sich während der letzten vierzehn Tage in der rührendsten Weise um mich gekümmert. Vielleicht hätte ich ohne sie das Ganze gar nicht ertragen – die Vernehmungen, die Reporter, Ronald im Gefängnis… Ich wurde mir jetzt erst so recht bewusst, dass ich keine wirklichen Freunde habe. Aber die Herzogin war unbeschreiblich nett, und auch ihr Sohn ist nett zu mir gewesen.«
»Mögen Sie ihn gern?«
»Er ist scheu und steif und unzugänglich. Doch da seine Mutter fast stets von ihm spricht, habe ich das Gefühl, dass ich ihn besser kenne, als es eigentlich der Fall ist.«
»Ich verstehe. Wie gefällt Ihnen Ihr Vetter, Mademoiselle?«
»Ronald? Ich mag ihn sehr, sehr gern. Leider haben
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