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Dreizehn Stunden

Titel: Dreizehn Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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seinem Auto ging, zum Beispiel an Tony O’Grady, Gott hab ihn selig. Ein dicker
     Englischsprachiger, ein besserwisserischer Schlaumeier, der ständig mit halb offenem Mund türkischen Honig kaute und nicht
     so regelmäßig badete, wie es ratsam gewesen wäre. Er konnte trinken wie kaum ein anderer, er war einer von den Jungs und nie
     unwillkommen. Sicher lag es daran, dass Kaleni eine Frau war. Die Männer mussten sich einfach noch an weibliche Kollegen gewöhnen.
    Ja, der alte Nougat O’Grady, das waren noch Zeiten.
    Damals, als Griessel noch nüchtern, furchtlos und enthusiastisch gewesen war. Und immer zu Scherzen aufgelegt. Er konnte einen
     Konferenzraum voller Kollegen zum Lachen bringen, jeden Montagmorgen. Damals, als die alte Mordkommission noch bestand, mit
     dem asketischen Kolonel Willie Theal, dessen Krebstod inzwischen schon drei Monate zurücklag, mit Gerbrand Vos, später Superintendent,
     mit seinen durchdringenden blauen Augen, der später von einer Township-Bande vor der eigenen Haustür erschossen wurde. Und
     mit Mat Joubert. Griessel dachte an das, was der Kommissaris über ihn gesagt hatte, und er zog sein Handy hervor und rief
     ihn an.
    »Mat Joubert«, meldete sich die bekannte Stimme.
    »Ich habe zum Kommissaris gesagt, er solle Senior Superintendent Mat Joubert mit ins Boot holen, weil wir Hilfe bräuchten,
     und da hat der Kommissaris mich gefragt, ob ich das mit Mat Joubert noch nicht wüsste.«
    »Bennie …« Als wolle er sich für etwas entschuldigen.
    |139| »Was weiß ich noch nicht?«
    »Wo bist du?«
    »In der Loopstraat, unterwegs, um einen Gospelsänger unter Mordverdacht zu verhaften.«
    »Ich muss sowieso in die Stadt. Ich geb dir einen Kaffee aus, wenn du fertig bist.«
    »Was willst du mir sagen?«
    »Bennie … Ich erzähl’s dir, wenn wir uns sehen. Ich will nicht am Telefon darüber reden.«
    Da wusste Griessel, was los war, und das Herz wurde ihm schwer.
    »Oh, Gott, Mat!«, sagte er.
    »Bennie, ich wollte es dir unbedingt persönlich sagen. Ruf mich an, wenn du fertig bist.«
    Griessel stieg ins Auto und knallte die Tür zu fest zu. Er startete den Motor und fuhr los.
    Nichts blieb, wie es war.
    Alle gingen fort. Früher oder später.
    Seine Tochter. Nach London. Er hatte neben Anna gestanden, als Carla sich am Flughafen von ihnen verabschiedete und durch
     die bewachte Tür zu den Flugsteigen verschwand. Mit der einen Hand zog sie hastig einen Trolley hinter sich her, in der anderen
     hielt sie ihren Pass und ihr Ticket, unterwegs ins große Abenteuer, fort von ihm, von ihnen. Fast hätten ihn seine Gefühle
     überwältig, dort neben seiner ihm fremd gewordenen Frau. Am liebsten hätte er ihre Hand genommen und zu ihr gesagt: »Anna,
     jetzt bleiben mir nur noch du und Fritz. Carla ist verloren, fort in die Welt der Erwachsenen.«
    Aber er hatte es nicht gewagt.
    Seine Tochter hatte sich einmal umgeblickt, kurz bevor sie um die Ecke bog. Sie war schon weit weg, aber er sah die Aufregung
     in ihrem Gesicht, die Erwartungen, die Träume von einem Leben, das nur auf sie wartete.
    Und er blieb zurück. Wie immer.
    Würde er heute Abend auch allein zurückbleiben? Wenn Anna ihn nicht mehr haben wollte? Würde er damit fertig werden?
    Und wenn sie sagte: »Okay, Bennie, du hast aufgehört zu trinken, |140| also kannst du wieder nach Hause kommen?« Wie zum Teufel sollte er dann reagieren? Das hatte er sich in den vergangenen Wochen
     immer häufiger gefragt. Vielleicht versuchte er die Sache so nüchtern zu betrachten, um sich schon im Voraus gegen ihre Abweisung
     zu wappnen. Dabei war er sich keineswegs sicher, dass es funktionieren würde – er und Anna wieder zusammen unter einem Dach.
    Seine Gefühle ihr gegenüber waren zwiespältig, das war ihm bewusst. Er liebte Anna noch immer. Andererseits vermutete er,
     dass er es gerade deswegen geschafft hatte, mit dem Trinken aufzuhören, weil er jetzt allein war. Weil er nicht mehr jeden
     Abend die Gewalt und den Tod mit nach Hause zu seiner Familie nahm, weil er nicht mehr zur Tür hereinkam und seine Frau und
     seine Kinder sah und von der Angst erfasst wurde, dass auch sie einmal so daliegen würden, mit verstümmelten Körpern, die
     Hände in grauenvoller Todesangst verkrampft.
    Aber das war es nicht allein.
    Einst waren sie glücklich gewesen, er und Anna. Damals. Bevor er angefangen hatte zu trinken. Sie hatten eine kleine Familie
     gehabt, eine Welt für sich, erst nur sie beide, dann kamen Carla und Fritz.

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