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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Herz und der Fähigkeit zu lieben. Aber dann war man ihr begegnet und sie war charmant und empfänglich für das zärtliche Gefühl, das man schon beim ersten Treffen für sie empfand, und jetzt, heute Nacht, wird man sich mit einer Nähnadel und Kugelschreibertinte ihre Unterschrift auf die Brust tätowieren. Man hat etwas Methadon zur Seite gelegt, um den Schmerz zu dämpfen, der einen erwartet, wenn man die glühendheiße Nadel in die Tinte und gleich darauf ins Fleisch steckt.
    Nachdem man dem Wärter Bescheid gegeben hat am Nachmittag, hat man die Zeit, in der noch Tageslicht durchs einzige, kleine Fenster der Zelle fiel, genutzt, um eine Blaupause der Unterschrift herzustellen, eine spiegelverkehrte. Es war nicht einfach und man hat bestimmt zehn Mal von vorne begonnen. Als man dann kurz vor Sonnenuntergang die spiegelverkehrte Kopie der Unterschrift hat, |302| die man als Grundlage für das Tattoo auf der Brust verwenden wird, ist man mit dem Resultat zufrieden: zumindest auf Papier sieht die Kopie der Unterschrift im Spiegel perfekt aus. Jetzt stellt sich nur noch die Frage, wie genau man den Stift wird führen können, wenn der Stift statt einer Kugelschreiberspitze eine Nähnadel an seinem Ende hat.
    Das Abendessen kommt und damit das kleine Nähset: eine Nadel, etwa ein Meter schwarzer Faden. Man näht den Knopf an der Hose sofort an, um am nächsten Morgen wenigstens das vorweisen zu können, wofür man die Nadel offiziell bestellt hat. Der Wärter kommt, nimmt das leere Tablett mit und wünscht einem einen schönen Abend. Obwohl jeder Insasse weiß, wann die Lichter gelöscht werden, wiederholt es der Wärter jeden Abend von neuem. »In drei Stunden ist Nachtruhe.« Man bedankt sich und überlegt, ob die Zeit reichen wird, denn sie werden die Nadel zurück wollen am nächsten Morgen, so viel steht fest. Also macht man sich gleich an die Arbeit: Man rasiert die Stelle, an der sich künftig die Unterschrift der großen Liebe befinden wird, und desinfiziert die Haut mit Rasierwasser.
    Zuerst war man überrascht gewesen, dass sie einem erlaubten, Alkohol in Form von Rasierwasser in der Zelle zu haben. Als man nachfragte, sagte der eine Wärter, mit dem man sich noch am besten vertrug, man dürfe pro halbes Jahr ein Fläschchen Rasierwasser haben. Sollte es jemand bevorzugen, den giftigen, reinen Alkohol für einen kurzen Suff in sich hineinzuschütten, könne er das wohl tun – aber er könne nicht damit rechnen, während der nächsten sechs Monate weiteres Rasierwasser zu bekommen.
    Die Stelle ist rasiert und man spürt nichts vom erwarteten Brennen auf der Haut, denn man hat schon vor dem Abendessen genügend Methadon zu sich genommen. Die Nadel befestigt man am leeren, tintenpatronenlosen Plastik des Kugelschreibers, indem man den Klebstreifen von mehreren Couverts in schmale Streifen reißt und die Nadel so festmacht, dass ein Zentimeter vorne herauslugt. |303| Die Tinte aus der Patrone zu bekommen, ist ein größeres Problem, als man gedacht hätte: Die Idee war, die Spitze mit der Kugel abzutrennen, abzubrechen, eigentlich, und dann würde man die Tinte in den kleinen, gesäuberten Aluminiumbehälter einer Pfirsichmarmelade geben, den man nach einem Frühstück in der Zelle behalten hat. Aber weder lässt sich die Spitze einfach so abbrechen, noch fließt die Tinte, als man es unter Einsatz der Eckzähne endlich fertiggebracht hat, das Röhrchen vorne und hinten aufzubeißen: Sie ist so dickflüssig, dass man pusten und blasen muss wie ein Irrer und einem schwindlig ist, als man es schließlich schafft, die Tinte aus dem Röhrchen ins Alu zu befördern. Aber dann liegen die Utensilien bereit und man beginnt, ihr Kunstwerk zu reproduzieren, es auf die eigene Haut, in die Haut, unter die Haut zu tätowieren – dorthin, wo man sie jede Sekunde des Tages bei sich haben wird.

|304| DUMDUM
    Martin saß auf dem Bettrand und betrachtete hängenden Kopfes den Revolver in seiner Hand. Ein Blick auf den Boden vor ihm zeigte jede Menge Patronen, die zwischen den leeren Bierflaschen herumlagen. Er legte den Revolver aufs Manuskript und kniete sich neben das Bett. Auf allen vieren pickte er die Patronen heraus, in die er mit dem Messer ein größeres Loch gebohrt hatte.
    Er setzte sich wieder auf den Bettrand und suchte aus der Handvoll Patronen die fünf mit den größten Löchern aus, nahm den Revolver, klappte die Trommel heraus und steckte die fünf neuen Patronen zur bereits in der Waffe steckenden Patrone

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