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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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sich mit Scham daran, wie man sie angelogen hat. »Entschuldige!«, möchte man ihr zurufen und ihr versichern, dass man sie nicht |47| habe verletzen wollen, auf gar keinen Fall, und man sagt dem Polizisten, wessen Namen es ist, und bereut es sogleich, als er mit zu Schlitzen verengten Augen fragt: »Das ist doch ein serbischer Name, hab ich recht?«
    Er provoziert und wiederholt den Vornamen, der weder serbisch noch kroatisch, sondern ein im gesamten slawischen Raum verbreiteter Frauenname ist, er wiederholt ihn mit Ekel in der Stimme, und man spürt, wie sich einem der Hals zuschnürt und das Adrenalin durch die Adern in den Schädel schießt, und plötzlich ist man hellwach und möchte ihm an die Gurgel springen und für all die Polizisten, die einem je untergekommen sind, angefangen bei denen, die einen schon im Alter von acht Jahren malträtiert haben, als man mit dem BMX-Fahrrad über nie befahrene Straßen gestoben ist und sie einen mit Ohrfeigen zum Nicht-auf-dem-Hinterrad-Fahren erziehen wollten, den Schädel einschlagen: Man wird laut und sagt ihm mit zittriger Stimme, dass er genau wisse, dass das Schwachsinn sei, und will von ihm hören, was er mit dieser Provokation bezwecke, und er einen entweder festnehmen oder in Ruhe lassen und sich seine Hirngespinste ans Bein schmieren solle, aber das reicht einem noch nicht und man provoziert zurück, Moment mal, sagt man, festnehmen könne er einen gar nicht, schließlich habe man nichts verbrochen und er solle doch einfach sagen, was zum Teufel er von einem wolle oder seinen Schwachsinn wem anderen verkaufen.
     
    Trotz des befreienden Gefühls dieser kurzen Tirade merkt man, wie das alles irgendwie in die falsche Richtung geht, und man spürt das aufsteigende Beben in den Eingeweiden des Drecksacks, und er wiederholt, das sei ein serbischer Name und man selbst ein Serbe und hier, um zu spionieren und ihn und seine Landsleute zu sabotieren, und in diesem Moment rücken ein paar Stuhlbeine ein klein wenig vom Tisch weg, und es sind die, auf denen die Soldaten in unmittelbarer Nähe des Polizisten sitzen; sie wissen zwar nicht, wie, |48| aber sie wissen,
dass
man reagieren und so etwas nicht auf sich sitzen lassen wird, nicht, wenn man auch nur annähernd die Person ist, der sie vor ein paar Stunden zugehört haben, und tatsächlich geschieht, was man sonst nach einer Verhaftung allenfalls träumt und sich dann dafür verflucht, es nicht wirklich zugelassen zu haben: Das Herz explodiert und das Adrenalin spritzt einem zu den Ohren heraus und verätzt die Gesichter der Soldaten um einen herum – man springt auf und der Stuhl knallt hinten gegen das Sofa, und bevor die Männer links und rechts es verhindern können, hat man schon den Schlüsselbund aus der Hosentasche geholt und ihn mit aller Kraft auf den Tisch geknallt, wohl wissend, dass man dem Polizisten das Metallbündel nicht einfach so in die Fresse werfen kann, aber man weiß auch, in welchem Winkel und mit welcher Wucht die Schlüssel aufprallen müssen, damit sie von der Tischplatte abheben und wie zufällig – uuups, ein Missgeschick, sorry, das tut einem aber furchtbar leid – dem Polizisten ins Gesicht knallen, was auch passiert wäre, hätte der Soldat mit den Narben nicht reagiert: Die Schlüssel landen in der großen Faust des Soldaten statt am Kopf des Polizisten, der für einen kurzen Moment bleich geworden ist, weil er nicht auf so eine Reaktion gefasst war, und man wird noch lauter als zuvor und schreit den Arsch an, will von ihm wissen, was das sei, hä?, und man meint den Schlüsselanhänger mit dem kroatischen Wappen drauf und wettert weiter, diese Kacke müsse man sich nicht von ihm bieten lassen, verdammte Scheiße noch mal, und dann erst haben sie einen an den Armen gepackt, die Soldaten links und rechts, und das mehr aus Angst davor, dass man dem Wichser doch noch über den Tisch hinweg an die Gurgel springen wird, als aus eingeübter Routine oder Schutzbedürfnis dem Polizisten gegenüber, und es ist ein Film, den man sieht, den alle sehen, gleich wird man Fäuste ins Gesicht bekommen, denkt man, so zumindest liefe es in jedem Film, denn das geht ja nicht, Schlüsselbundwerfen und ähnliches, aber nichts dergleichen: Weil man keine Anstalten macht, sich aus dem Griff der Soldaten zu befreien |49| und über den Arsch herzufallen, werfen sie einen auch nicht zu Boden oder auf den Tisch, sondern halten einen einfach fest, bis die Worte des älteren und die Versicherungen von noch ein

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