Drift
während er sie aufsetzt, ob er die haben könne, der Arsch, man brauche ja nicht drei, sagt er, niemand brauche drei, und man legt die Hand an den Türrahmen, jetzt ist die Gelegenheit, denkt man, aber man antwortet, statt die Tür zuzuschlagen, diese könne er nicht haben, das sei die eigene, aber er könne gern eine der anderen beiden haben, und er versucht, einen rumzukriegen und die teuerste zu stehlen – denn stehlen ist es, was er da tut, stehlen und nichts anderes –, aber man hört ihm nicht mehr zu und glaubt, die Sache sei erledigt, als er sie tatsächlich zurücklegt und sich eine andere nimmt, das Schwein; Rechtsstaatlichkeit ist zu ihm noch nicht durchgedrungen, und das Schlimmste daran: Es ist die Brille des Bruders, leider, und nicht die, die Winnetou der Mutter an einem drehfreien Tag abseits des Sets in den Bergen des Velebit geschenkt hat.
Irgendwie ist die Durchsuchung mit der neuen Brille in der Jackentasche plötzlich zu Ende, kein Hasch, kein Gras, kein Geld, kein Koks, keine Diamanten, und er schließt ab und wirft einem die Schlüssel zu; die Papiere, sagt er, werde er bis auf weiteres behalten, was einem in dem Moment scheißegal ist. Man sieht zu den Soldaten hinüber und fragt sich, was jetzt: Man ist hier, in diesem Anhängsel von Senj, man ist hellwach und hätte am liebsten ein Gewehr, um in den Krieg zu ziehen, und wieder im Wohnzimmer kommt schon die Antwort auf diese Fragen und Wünsche in Form eines Offiziers aus dem Nebenzimmer.
|52| »Alles hinsetzen!«, donnert er den ersten Befehl und mit »Lagebesprechung!« den zweiten und zu guter Letzt kracht’s: »Und-wer-verflucht-noch-mal-ist-das-Schnauzehalten!«
Der Polizist, der neben einem steht, antwortet, alle Blicke auf ihn gerichtet, ganz klein und wie ein Schüler, man sei den Soldaten in die Hände gefallen, und dann: Nein, er habe nichts in Händen, aufgrund dessen er einen mitnehmen und einlochen könnte. Also überreden die Soldaten, in denen man schon neue Freunde gefunden zu haben glaubt, den Offizier, einen dazubehalten, mindestens bis zum Morgen, dann könne man ja weitersehen, worauf der Befehlshabende nickt und der Polizist nickt mit, beschleunigt, wie im Trickfilm, legt die Papiere auf den Tisch und schleicht sich; Dope suchen, vermutlich.
Stühle werden verschoben, in Richtung des Höchstrangigen gedreht, und man steckt die Papiere ein, setzt sich auf den erstbesten Stuhl und hört dem Offizier zu, ungefähr fünf Sätze dauert die Lagebesprechung, der letzte eine Fluchtirade mit leerem Pistolenmagazin und drei Patronen in der Hand.
»Drei Patronen!«, flucht er. »Wie zum Teufel sollen wir uns ohne Munition verteidigen?« Und er schaut einen an, als ob man etwas dafür könnte, als ob man sie irgendwo gebunkert hätte, die Munition, und sie nicht rausrücken wollte, damit noch mehr Männer, Frauen und Kinder einen sinnlosen Tod sterben, und er macht eine Faust mit den drei Patronen drin und schluckt seinen Ärger hinunter, dann schnalzt er sie schnell zurück ins Magazin und das Magazin in die Pistole, legt diese auf den Kühlschrank und wirft sich einen schweren schwarzen Ölmantel über: »Los, Männer, gehen wir, der Feind wartet!« Und alle bis auf den zur Bewachung abkommandierten Soldaten, der über seinen Auftrag nicht weniger unglücklich scheint als die anderen darüber, dass sie ihn nicht mitnehmen müssen, packen ihre Gewehre, prüfen die Magazine und die restliche Ausrüstung und verlassen das Wohnzimmer einer nach dem anderen, dem Offizier hinterher.
|53| Der freundliche Soldat mit den Narben wirft als einziger einen Blick zurück und zwinkert einem zu, als ob er einem sagen wollte: Alles wird gut …! – und man weiß, dass er einen mit dieser Geste ebenso aufmuntern will wie sich selbst, und man nickt und gibt ihm damit zu verstehen, dass man sich keine Sorgen macht und es beiden gut ergehen wird, ihm, dem Kämpfer, der in der Nacht auf Patrouille an die Front gehen und vielleicht sterben wird, und einem selbst auch, der man, mit Selbstmordgedanken und total verzweifelt angekommen, jetzt mit Wut im Bauch darüber, dass man nicht mitgehen darf, neben dem zur Bewachung abkommandierten Soldaten auf ihre Rückkehr warten wird. Der Soldat schultert seine Kalaschnikow und lässt einen mit dem leicht debilen Soldaten mit abstehenden Ohren und schlechten Zähnen zurück, der vor dem Kaminfeuer besser aufgehoben ist als vor feindlichen Gewehren; sicher ein guter Mann, denkt man, mit gutem Gehör, und
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