Drift
zischt: »Los, beeilt euch! Na los, macht, dass ihr herkommt!«
Die Gruppe im Wald erhebt sich und man rennt mit, quer über das Feld, zum Haus, wo ein alter Mann mit einer noch älteren, doppelläufigen Schrotflinte in der offenen Türe steht.
Man stürzt hinein und landet beinahe auf dem langen Holztisch, der mitten im großen Raum steht. »Und wer zum Teufel ist das?«, hört man Josip fragen, nachdem er noch einen letzten Blick in Richtung Wald geworfen, die Türe hinter sich geschlossen, sich umgedreht und mit zu Schlitzen zugekniffenen Augen die Flinte gehoben und auf einen gerichtet hat.
»Der gehört zu uns«, sagt eine Stimme und es ist die von Marina, die einen in Schutz nimmt. »Sicher?«, fragt der Alte, und jetzt sind es gleich drei Stimmen, die sich sicher sind, und man ist nicht wenig überrascht, dass darunter auch die von Boro ist, der mit seinem Bass offenbar mehr kann, als einem nur übers Maul fahren.
»Setzt euch, Freunde«, sagt der Alte und nimmt selbst am Kopfende des alten Tisches Platz. »Was zu essen?« Und alle antworten mit: »Nein, danke!« – und man weiß, dass die Antwort nicht aus Mangel an Hunger, sondern aus dem Grund so lautet, dass der Alte |113| seinen letzten Bissen opfern würde, und sollte er selbst in den nächsten Tagen verhungern.
»Panzer«, sagt er, lehnt seine Flinte gegen die Tischkante, kramt Zündhölzer und eine Steinpfeife aus den Tiefen seiner Hosentaschen und zündet den Tabak an, der alle sofort süßlich umarmt. Josip ist ein großer, alter Mann, knorrig, sehnig und zäh, aber mit einem Ausdruck in den Augen, der mehr Wärme und Wehmut enthält, als man selbst auch nur annähernd ertragen könnte, und als man später erfährt, dass es sein dritter Krieg ist und er nicht mit seinem Sohn und seinen Enkelkindern ins Ausland fliehen wollte, weil er eher sterben, als das Haus, das er mit eigenen Händen erbaut hat, an den Feind verlieren würde, wächst der Respekt dem Alten gegenüber umso mehr.
»Warum trägt er keine Uniform?«, fragt er Marko und deutet mit dem Mundstück der Pfeife auf einen, und man sieht Marko an, dessen scharf gezogene Konturen man im Schein der Öllampe zum ersten Mal richtig erkennen kann, und man denkt sich, dass die Mädels bestimmt auf ihn abfahren, und will die Mädels am Tisch in genaueren Augenschein nehmen, aber da kommt schon die Antwort seitens des Chefs der Gruppe und man kann den Blick nicht von ihm weg auf das schönere Geschlecht richten. »Zugelaufen, sozusagen«, sagt er trocken und alle Anwesenden lächeln einen an.
»Zeig mal, was du da hinter der Mauer hervorgeholt hast«, sagt Tomo.
Man hebt den Rucksack vom Boden auf und klemmt ihn zwischen die Knie, nimmt die beiden Polizeipistolen und den Revolver hervor und legt sie auf den Tisch, die Munition daneben: Blicke, die einem nicht ganz geheuer sind – überrascht einerseits, kritisch andererseits, nur Marina, die wirklich gut aussieht, wie man im wohl verkehrtesten Augenblick feststellt, scheint amüsiert. »Ein Gangster …?«, fragt Marko und will wissen, was man verbrochen habe, und man antwortet: »Nichts.« Man habe nur keine Lust gehabt, wegen einer ausgeliehenen Offizierspistole ins Gefängnis zu |114| wandern. Die Gesichter hellen sich wieder etwas auf und Nada fragt kritisch: »Und dann hast du ihnen die Knarre ins Gesicht gehalten und gesagt, sie sollen die Pistolen rausrücken?«
Man sagt nein, man habe ihnen die Pistole geben und sich zunächst ergeben wollen, die Meinung allerdings im letzten Moment geändert und sie niedergeschlagen.
»Du hast zwei Polizisten niedergeschlagen. Mit bloßen Händen, nehme ich an.« Boris. Geht auf in der Rolle des Zynikers, und man antwortet: »Nein, mit den Füßen.«
Schweigen. »Komm, zeig’s mir!«, sagt Boris und holt sich mit einem Seitenblick in Richtung Marko dessen Erlaubnis ein, der seine Zustimmung gibt, indem er nicht reagiert. Man sagt, sie seien nicht ganz so breit gewesen wie Boris, und Marina und Tomo schmunzeln. Man fügt hinzu, man finde die Idee blöd und man wolle ihm nicht wehtun. Was wiederum nur hämisches Lachen seitens Boro provoziert.
»Na los, Kleiner«, sagt er, steht auf, geht um den alten Josip herum, der einen wenig amüsiert und ebenso kritisch und gespannt ansieht, wie Marko es tut, als Boro sich vor einen hinstellt.
Man sei vor dem einen Polizisten hergegangen, sagt man und steht ebenfalls auf. »Na dann, dreh dich um und zeig’s mir«, sagt Boro und man dreht sich langsam um
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