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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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und tritt ihm mitten in der Drehung blitzschnell und mit voller Wucht mit der Ferse in den Solarplexus. Er ist groß und kräftig, denkt man, und damit sie einem die Geschichte glauben, muss er zu Boden gehen, und überleben wird er es sowieso, falls er überhaupt zu Boden geht, aber schon das Gefühl, das man hat, als man das Bein zurückzieht, sagt einem, was man sehen wird, wenn man sich wieder umdreht, nämlich einen gekrümmten Boro, der trotz Gegenwehr langsam auf alle viere sinkt. Obwohl zwei Pistolen auf einen gerichtet sind, bleibt man trocken und bewegt sich nicht vom Fleck, sondern sagt, jetzt habe man dem auf der anderen Seite in die Eier getreten und dann beiden noch kräftig ins Gesicht.
    |115| Marina lacht, klatscht in die Hände, beugt sich über den Tisch und sagt zu ihrem Kameraden: »Boro, bist du am Leben?«
    Ohne eine Miene zu verziehen, setzt man sich wieder hin und sieht Marko an, der nur langsam den Kopf schüttelt und seine Pistole sichert und einsteckt. Der Blick zu Boro, der auf den Knien und auf einen Ellbogen gestützt mit dem Finger der freien Hand auf einen zeigt und zwischen den Zähnen durchpresst: »Du bist ein toter Mann.« Und was man selbst gar nicht so lustig findet, lässt alle anderen platzen vor Lachen, doch als einem der Alte vom Kopfende aus die Hand bietet und einen nach dem Namen fragt, wird einem warm ums Herz und man sagt ihm den Vornamen und dass man sich freue, seine Bekanntschaft gemacht zu haben. »Marina, Liebste«, sagt er, »bring meinem neuen Freund und uns allen ein Glas Loza, sei so lieb, grüne Kommode, zweite Schublade links.« Und es ist einem, als hätte man im Urlaub ein paar neue Freunde gewonnen, und nicht, als säße man in unmittelbarer Nähe des Feindes und trinke aufs Überleben und den Mut, sich dem Feind zu stellen. Als Boro tief Luft holt, um aufzustehen, erhebt man sich und bietet ihm die Hand, und sei es der Form halber, aber er nimmt sie und zieht daran und man wird fast umgerissen, stemmt sich aber dagegen und hilft ihm auf.
    »Pizdo!«, sagt er, Fotze. Und man sagt: »Sorry!« Aber sonst hätte einem niemand geglaubt, und er nickt, klopft einem auf die Schulter, dass einem das Schlüsselbein fast in den Hals verrutscht, geht um den Tisch herum und setzt sich neben die grinsende Nada. Boris zeigt auf Tomo und sagt: »Wehe, ich sehe dich auch nur ein Mal grinsen heute Abend!« Tomo grinst nicht nur, sondern ist kurz davor, in heulendes Gelächter auszubrechen, und es ist der alte Josip, der das Fass zum Überlaufen bringt, als er zu Marina, die lächelnd Flasche und Gläschen auf den Tisch stellt, sagt, der Grappa sei selbstgemacht und stark und sie solle Boro nur ein kleines Gläschen geben, damit es ihn nicht umhaut. »Na toll!«, sagt Boro, schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch und stimmt ins Gelächter mit |116| ein und man denkt sich, dass dieses Lachen ein Schlag in die hässliche Fratze des Krieges ist und dass es, so auf der anderen Seite überhaupt gelacht wird, kein Lachen aus einem Gefühl von Freundschaft und Gemeinsamkeit heraus sein kann, sondern nur eines von Hass, Testosteron, Promille, Kokain und Speed.
    »Zum Wohl«, sagt der alte Josip und hebt sein Gläschen, und man hebt seines und sagt im Chor »Zum Wohl« und man kann nicht umhin, nach dem Blick in die Gesichter aller Anwesenden festzustellen, dass Marinas Augen etwas länger als unbedingt notwendig auf einem haften geblieben sind, und eine seltsame Erregung überfällt einen, als man einen großen Schluck Loza aus dem kleinen, randvollen Gläschen nimmt und es einem heiß die Kehle hinunterläuft – Marina?
     
    Am nächsten Tag, geschlafen hat man auf ein paar Decken auf dem Holzboden, gefrühstückt wie ein König, Brot, Speck, Eier und türkischen Kaffee, verabschiedet man sich von Josip, dem Großvater mit den wunden Augen und der weisen Seele, und man macht sich auf, in Richtung Stadt.
    »Ein Städtchen eigentlich«, erklärt einem Josko, der neben einem zu liegen kam, bevor die Petroleumlampe ausgemacht wurde, »aber es gibt dort so etwas wie ein improvisiertes Hauptquartier.« Man fragt, ob man morgen ins Gefängnis gesteckt werden würde, nicht gerade eine tolle Vorstellung, sagt man, und er zuckt mit den Schultern, er wisse es nicht, das sei wohl Markos Entscheidung, aber nach der Vorstellung von vorhin auf dem Hügel könne er sich gut vorstellen, dass er einen eher an die Front schicken werde als in den Knast. Müde bis auf die Knochen fällt man in

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