Drift
einen tiefen Schlaf, bevor das Licht aus ist.
Die Träume sind kurz und intensiv, aber man schwitzt nicht wie üblich bei Albträumen, es ist mehr wie ein innerliches Zwinkern, das die Bilder von explodierenden Köpfen und Torsos abstellt, nur um andere zu bringen, wie in einer Diashow folgen die explodierenden |117| Gesichter und Oberkörper aufeinander und man merkt im Traum, dass die Toten in der Reihenfolge vorkommen, in der man die Lebenden erschossen hat, und als die letzte Brust mit einem Pfeifen niedergeht, ist es auch schon vorbei und es folgen Bilder der Gruppe, in die man so schnell aufgenommen worden ist, und dann das Lächeln von Marina, das einen bis zum Morgengrauen warm hält.
Man solle aufstehen, sagt eine Stimme und es folgt ein Tritt in den Hintern und ohne die Augen zu öffnen weiß man, wessen Stiefel das gewesen sein muss, und als man die Augen öffnet, ist Boro bereits vorbeigegangen und im Wohnzimmer verschwunden und Nada schaut im Vorbeigehen runter zu einem und blinzelt einem vielsagend zu. Was?, möchte man sie fragen, aber schon ist sie um die Ecke und deshalb schaut man, dass man später, wie zufällig, neben ihr geht, als man alles eingepackt hat und mit der Gruppe auf der zerbombten Straße in Richtung Gospic marschiert mit dem Plan, von irgendwem mitgenommen zu werden.
Wieso sie einem zugezwinkert habe, fragt man sie unverblümt, als man endlich alleine neben ihr dahinmarschiert, und sie schüttelt den Kopf und fragt, ob man immer so direkt sei, und man sagt ja, das sei man und fragt, ob das nicht in Ordnung sei. Sie findet, es sei eigentlich ganz okay, und warum sie gezwinkert habe, werde man noch früh genug herausfinden. Sie bleibt stehen und lässt einen ins Leere laufen, also geht man weiter, Marko und Tomo hinterher, der in diesem Augenblick über die Schulter blickt und sagt: »Komm mal her!«
Man beschleunigt und Tomo macht Platz, damit man zwischen Marko und ihm zu gehen kommt. »Hör mir jetzt gut zu«, sagt Marko. »Du wolltest dich freiwillig melden und dein Auto … du bist mit dem Auto gekommen, oder?« Man nickt. »Dein Auto wurde beschossen, du bist in die Berge abgehauen und bei uns gelandet. Der Rest wie gehabt. Klar?«
»Klar«, sagt man und lässt den Gedanken zu, dass man vielleicht doch nicht ins Gefängnis wandern wird, nicht jetzt, noch nicht, |118| und Tomo legt einem die Hand auf die Schulter, ganz klar freundschaftlich, und grinst einen an mit nicht den besten, aber bestimmt sympathischsten Zähnen, die man seit langem gesehen hat. Er sagt, dass er einem, sollte man sich verquatschen, die Eier abschneiden werde, und macht, ritsch-ratsch, die entsprechende Handbewegung dazu und dann lässt er einen alleine mit Marko zurück.
Man schweigt und geht neben Marko her.
Man sei gut gewesen gestern, sagt er und fragt, ob man im Militär gedient habe. Man verneint, sagt, man habe noch nie ein Gewehr in den Händen gehalten. Er betrachtet einen kurz verwundert von der Seite, dann sieht er wieder geradeaus und man fragt sich, ob er einem glaubt, und als hätte er die Frage gehört, beantwortet er sie, indem er sagt, er glaube einem. Man möchte wissen, wie und warum das, möchte wissen, weshalb er einem eine solche Ungeheuerlichkeit glaubt, man findet es schließlich selbst ungeheuer, dass man so einfach traf, ohne je geübt zu haben, und man bringt den Mut auf, die Frage zu stellen und er sagt, es sei einem so unvermutet und leicht von der Hand gegangen, dass man entweder ein Veteran sein müsste oder ein Naturtalent, das sich noch nie Gedanken über das Einstellen eines Gewehrs gemacht habe. Und für einen Veteran sei man, nun ja, einfach noch etwas zu jung.
»So kann man es auch formulieren«, denkt man, sagt aber nichts, was will man dazu auch sagen. Naturtalent? Okay, warum nicht. Ja, klar, denkt man. Naturtalent. Er fragt, ob man schlecht geträumt habe, und man antwortet: Schlecht nicht unbedingt, man habe Köpfe und Torsos explodieren sehen, alle, einen nach dem anderen, aber man hätte sie sozusagen wegzwinkern können. »Dann ist gut«, sagt Marko und man ist froh darüber, dass es gut ist und dass man ein Naturtalent ist und Tote in Albträumen wegzwinkern kann.
»Wir werden bald an einer Straße sein«, sagt Tomo, der plötzlich wieder hinter einem steht. Dort werde man entweder einen Laster finden oder ein paar Privatautos würden die Gruppe mitnehmen.
Was mit dem Haus ist, das man verlassen habe, mit der Ruine, |119| fragt man, und ob man es heute
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