Drift
finden würde, man kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber es spielt auch gar keine Rolle; die Spannung ist zum Greifen, ein Funke, und die Luft zwischen ihr und einem würde brennen, und sie spielt auch noch mit Streichhölzern, als sie sagt, sie sei froh, dass einem nichts geschehen sei auf dem Weg zu ihnen, von der Küste her, die Berge rauf.
»Ja«, sagt man, denn mehr bringt man nicht heraus, was soll man dazu auch sagen, natürlich ist man froh, dass man nicht erschossen worden ist, aber man freut sich noch mehr darüber, dass es sie freut, dass man nicht erschossen worden ist.
Man solle sich hinlegen, sagt Tomo, als er die Küche betritt. »Heute Nacht geht’s raus, an die Linie. Wir müssen uns ausruhen.« Und so nickt man Marina zu, die wegsieht, und folgt Marko nach hinten in ein kleines Zimmer, wo Matratzen auf dem Boden liegen und die Fenster verdunkelt sind. Zwei Gestalten liegen da schon, man glaubt Boro und Josko zu erkennen, ist sich aber nicht sicher. »Da, nimm die Matratze«, sagt Tomo und zeigt in eine Ecke, auf eine dünne, alte, durchgelegene Matratze mit ein paar Decken drauf. »Und zieh dich besser nicht aus, sonst hast du die ganzen Milben am Arsch.«
»Komm, Zeit zum Aufstehen.«
Josko beugt sich über einen und schüttelt einen an der Schulter. Als man sich aufsetzt und an die Wand lehnt, um wach zu werden, setzt er sich neben einen und bietet einem eine Zigarette an, will wissen, wie es einem geht. Man weiß es nicht, sagt man ihm, man habe aber auch keine Ahnung, was auf einen zukomme. »Mach dir keine Sorgen«, sagt er, »ich werde auf dich aufpassen.«
Eine Stunde später fragt man sich, ob man nicht träumt: Mit einem kleinen Bus irgendwo vor einem Waldstück abgesetzt, schleicht man jetzt zwischen Gestrüpp und Bäumen mitten in der |135| Nacht durch dichte Vegetation, gespannt, unsicher, ob einem nicht gleich jemand eine Kugel in den Kopf verpassen könnte, Adrenalin pur.
Was hat man sich nur dabei gedacht, als man den kleinen Wagen geklaut hat? Es war ein Bild von einem Krieg, wie man ihn aus Filmen und Dokumentationen über den Zweiten Weltkrieg kannte: Schützengräben, offene Felder, Häuserkampf. Und jetzt? Vietnam. Aber gut. Über Vietnam hat man noch mehr Filme gesehen als über den zweiten Weltkrieg. Man muss sich nur die bekannten Bilder vor Augen führen und schon steckt man mitten in Apocalypse Now oder Platoon. Nur dass man nicht mit kleinen Kamikaze-Vietkong zu rechnen hat, sondern mit langhaarigen, bärtigen Cetniks, voll bis oben hin mit was auch immer sie in die Finger kriegen, gut ausgebildet in der jugoslawischen Armee und ansonsten einfach schwer psychopathisch und dadurch noch gefährlicher. Und in jedem Falle aufgestachelt von einer Propaganda, die ihresgleichen sucht.
Nach ein, zwei Stunden Marsch durch den Wald, das Zeitgefühl löst sich völlig auf und man traut sich nicht, stehenzubleiben und den Blick vom grauen Dunkel zwischen den Bäumen abzuwenden und auf das Zifferblatt der Uhr am Handgelenk zu richten, hebt Marko, der die Gruppe anführt, plötzlich die Hand. Augenblicklich bleibt man stehen, seine Umrisse, die im Mondlicht surreal wirken, fest im Blick. Tomo schleicht zu ihm, sie flüstern, gehen in die Hocke, Tomo winkt uns alle heran. Er dreht sich zu uns um, sagt, da vorne sei etwas. »Wer geht?«, fragt er und schaut in die Runde. Man will die Hand heben, aber mitten in der Bewegung stoppt einen Josko und hebt selbst die Hand. Man sieht ihn fragend an, aber er schüttelt nur den Kopf. »Der andere bin ich«, brummt Boro und geht gebückt zu Josko rüber, neben den er sich hinkauert. »Gut«, sagt Marko. »Schleicht euch auf den Hügel dort drüben und dann die Steinmauer entlang runter. Wir folgen euch auf den Hügel, sobald ihr die Mauer erreicht habt. »Und du«, er sieht einen an, als würde er einem mit seinen Augen Löcher durch den Kopf bohren |136| wollen, »gehst mit und beobachtest alles vom Hügel aus. Sollte jemand die Waffe auf die beiden richten, bevor sie die Mauer erreicht haben, knall ihn ab. Aber ansonsten machst du dich klein und bist still wie eine Maus, verstanden?« Man nickt. Boro brummt etwas Unverständliches, er ist offenbar nicht damit einverstanden, dass man mit ihm zum Hügel geschickt wird. Oder damit, dass man die einzige Deckung ist, die er hat, bis er die Mauer erreicht, man ist sich selbst nicht ganz sicher. Vielleicht sollte man widersprechen beziehungsweise fragen, ob es nicht klüger wäre, Tomo zu
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