Drimaxid 01 - Die Zelle
dem stählernen Würfel geschehen?
Er richtete die Frage an Roland, der beharrlich schwieg.
»Ich kann mich nur bruchstückhaft erinnern. Ich habe einen von ›ihnen‹ getötet, aber ›er‹ ist auf mich gefallen. Du hast mir geholfen.«
»Ich habe dir dabei geholfen, dir selbst zu helfen«, antwortete Roland mysteriös.
Er ist ein Gespenst , hauchte eine Stimme in Adams Kopf.
Das Gesicht des Kriegers war aschfahl. Er hatte tiefe, dunkle Ringe unter den Augen und einen fiebrigen Blick. Wie ein Junkie …
»Verdrängung von Erinnerungen«, murmelte Roland.
»Was meinst du damit?«, wollte Adam wissen.
»Das gibt es oft bei Menschen, die im Krieg gekämpft haben. Schon früher. Das Bewusstsein verdrängt die Bilder der schrecklichen Zerstörung und des sinnlosen Tötens.«
»Und selbst wenn ich mich daran erinnern möchte, kann ich es nicht?«, bohrte Adam weiter.
Keine Antwort.
Er hatte wieder einmal eine Grenze erreicht. Hier würde er nicht weiterkommen. Roland kommunizierte mit ihm, aber er verriet nur so viel, wie er wollte.
»Was tun wir hier?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Roland. »Wir warten.«
»Auf was?«
»Auf den Tod?« Roland zuckte mit den Schultern. »Wie gesagt: Ich weiß es nicht.«
»Warum war ich in dieser Zelle?«
Adam blickte schüchtern zu der schmalen Luke hinüber. Da war wieder dieses dämonische Haifischgrinsen.
Bald werde ich dich zurückholen …
Er sah schnell weg.
»Ich weiß es nicht.«
Ein beunruhigendes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus.
»Du hast mich befreit. Ich glaube, ich habe mich noch gar nicht dafür bedankt«, versuchte Adam dem Gespräch neues Leben einzuhauen, als würde er mit einem Defibrillator Stromschocks durch einen sterbenden Körper jagen.
»Doch, das hast du«, erinnerte sich Roland.
Stille.
Totenstille.
»Wie kommst du hierher?«
»Ich weiß es nicht.«
Stille.
»Hast du die Krankenstation schon einmal verlassen?«
»Nein, ich bin hier zu mir gekommen und bin nie nach draußen gegangen.«
Totenstille.
»Warum hast du nicht sofort die anliegenden Räume gecheckt?«
Keine Antwort.
Sackgasse. Hier würde er nicht weiterkommen.
»Warum hast du mich befreit?«
»Ich habe dich schreien gehört«, erklärte Roland. »Wie ein Mädchen.«
Adam fühlte sich durch die Worte verletzt, konnte aber keinen herablassenden Spott, Hohn oder etwas Vergleichbares in Rolands Augen lesen. Nur diese schreckliche Gleichgültigkeit, die ihn so schmerzlich an seinen Vater erinnerte.
Ihm fiel plötzlich auf, wie wenig er über Roland wusste. Im Grunde überhaupt nichts. Er vermutete, dass Roland ein bisschen älter als er war, aber nicht einmal das konnte er sicher bestätigen. Roland war sehr zurückhaltend, ernst und die anderen Soldaten hatten ihn immer einen »seltsamen Kauz« genannt.
Neben ihm knisterte es und Adam gewahrte eine goldene Folie in Rolands Händen.
Die Verpackung eines Riegels , vermutete er.
Vom Inhalt der Folie fehlte jede Spur.
»Wie viele gibt es davon?«, wollte er wissen.
Roland deutete auf eine blaue Plastikbox, die neben ihm stand. Adam schätzte, dass darin ungefähr ein Dutzend Riegel lag. Genug um drei bis maximal vier Tage zu überleben, wenn sie sparsam damit umgingen und Hunger litten.
»Wasser?«
Roland deutete auf ein Waschbecken in der Ecke.
»Es wird länger reichen als die feste Nahrung«, schätzte der Krieger. »Es gibt einen großen Wasserspeicher unten im Rumpf.«
Das ist gut , dachte Adam.
Sein Blick irrte zu der Schleuse hinüber. Ob Roland wusste, was dahinter lag? Irgendwie spürte er, dass der Zeitpunkt für diese entscheidende Frage noch nicht gekommen war.
»Du solltest schlafen«, schlug Roland vor.
Adam war zu müde um etwas darauf zu erwidern. Das Gespräch hatte ihn sehr viel Kraft gekostet. Er spürte, dass er noch lange nicht voll ausgeruht war. Die Zeit in der Zelle hatte ihm mehr zugesetzt, als er zugeben wollte.
Roland rutschte von der Liege herab und half Adam dabei sich hinzulegen. Statt der Zudecke warf der Krieger ein dünnes Stofftuch über ihn, das eher aussah wie eine Tischdecke. Aber das störte Adam nicht weiter. Er schloss die Augen und schlief friedlich ein.
*
Als er wieder zu sich kam, war er endlich wieder völlig erholt. Adam stand mit gewohnter Sicherheit auf und blickte an sich herab. Er trug noch immer das zerfetzte, nach Schweiß und Urin stinkende, orangefarbige Leibchen und beschloss sich zuerst nach neuer Kleidung umzusehen. Roland hockte
Weitere Kostenlose Bücher