Dringernder Verdacht
Besucherparkplatz ausgewiesenen
Stellfläche. Ich stieg aus und blieb kurz stehen, um den Blick zu genießen. Der
Wind strich durch das trockene Gras auf dem Hang. In der Ferne erstreckte sich
das helle Meer bis zum Horizont. Es sah glatt aus und seltsam flach.
Ich musste an die Geschichte denken,
die mir einmal ein Meeresarchäologe erzählt hatte. Er hatte gesagt, es gebe
Hinweise auf primitive menschliche Siedlungen dort draußen, die jetzt unter Wasser
lagen, ursprünglich aber an sumpfigen Flussmündungen oder Arroyos errichtet
worden waren. Im Lauf der Zeit hatte das Meer immer wieder Gefäßscherben,
Mörser, Muschelschmuck und andere Gegenstände angespült, wahrscheinlich von
alten Friedhöfen und Mülldeponien entlang der mittlerweile versunkenen Küste.
Die Legenden der Chumash-Indianer berichten, dass einmal das Meer
zurückgewichen und über Stunden draußen geblieben sei. Ein Haus sei an der
Wasserlinie aufgetaucht... ein, zwei Meilen weit draußen... eine wundersame
Hütte. Die Leute seien am Strand zusammengelaufen, unter staunendem Gemurmel.
Dann sei das Wasser noch weiter zurückgewichen und ein zweites Haus
aufgetaucht, aber die Augenzeugen hätten sich zu sehr gefürchtet, um näher
heranzugehen. Nach und nach sei das Wasser wiedergekommen, und die beiden
Gebäude seien in der langsam steigenden Flut verschwunden.
Die Geschichte hatte etwas
Gespenstisches — Geister des Holozän, die für einen Moment eine längst allen
Blicken entzogene Wohnstätte freilegten. Ich hatte mich schon manches Mal
gefragt, ob ich mich wohl über das freigelegte Stück Meeresboden dort
hinausgetraut hätte. Etwa eine halbe Meile weit draußen fiel der Grund ab wie
die Flanke eines Gebirges, und unterseeische Felsenkliffs stürzten steil ab zu
einem Canyon. Ich stellte mir die Sedimentschicht auf dem Grund des Ozeans vor,
dumpfgrau wegen des fehlenden Lichts, uneben und pockennarbig von all den
stumpfen, steinigen Schätzen. Die Zeit deckt die Wahrheit zu, und an der
Oberfläche weist nicht einmal mehr ein leichtes Gekräusel auf all die Ebenen
und Täler in der Tiefe hin. Auch jetzt, nur sechs Jahre nach diesem Mord, war
vieles verschüttet und versunken. An mir war es, die Fundstücke aufzusammeln,
die an die Gestade der Gegenwart gespült wurden, beunruhigt bei dem Gedanken an
die unentdeckten Schätze dort unten, wo man sie gerade nicht mehr erreichen
konnte.
Ich drehte mich um und ging ins
Sendergebäude, einen einstöckigen Steinbau, unscheinbar sandfarben verputzt und
strotzend von Antennen aller Art. In der Eingangshalle empfingen mich ein
hellblauer Teppichboden und die Sorte »Schwedenmöbel«, wie man sie in einem
gehobenen Studentenzimmer findet. Die Weihnachtsdekoration wurde gerade
angebracht: ein künstlicher Baum in der einen Ecke, auf einem Stuhl ein Stapel
Kartons mit Schmuck. An der Wand zu meiner Rechten waren diverse Fernsehpreise
ausgestellt wie Bowling-Trophäen. In einem Farbfernseher lief eine
Vormittags-Spielshow, bei der es offenbar darum ging, eine Reihe prominenter
Persönlichkeiten zu erraten, die mit Vornamen allesamt Andy hießen.
An der Anmeldung saß ein hübsches
Mädchen mit langem dunklen Haar und lebhaftem Make-up. Auf ihrem
Namensschildchen stand »Tanya Alvarez«. »Rooney!«, rief sie, die Augen auf den
Fernseher geheftet. Ich wandte mich um und sah auf den Bildschirm. »Andy
Rooney« war richtig, und das Publikum applaudierte. Jetzt kam der nächste
Hinweis, und sie sagte: »Ach, verflixt, wer ist das? Wie heißt er doch gleich?
Andy Warhol!« Wieder richtig, und sie errötete vor Befriedigung. Sie sah zu mir
herüber. »Ich könnte bei dieser Show ein Vermögen machen, aber wahrscheinlich
käme gerade an dem Tag irgendein Gebiet, von dem ich keine Ahnung habe.
Kugelfische oder exotische Pflanzen. Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich weiß nicht. Ich würde mir gern
altes Nachrichtenmaterial von vor fünf Jahren ansehen, falls Sie so etwas
haben.«
»Aus unserem Archiv?«
»So hatte ich es mir gedacht. Es geht
um das Urteil in einem Mordprozess hier in Santa Teresa, und ich nehme ziemlich
sicher an, dass Sie darüber berichtet haben.«
»Augenblick. Ich werde mal nachsehen,
ob Ihnen jemand dahinten weiterhelfen kann.« Sie wählte ins Innere des Gebäudes
durch und schilderte dem Jemand am Apparat mein Anliegen. »Leland kommt in fünf
Minuten«, sagte sie.
Ich dankte ihr und vertrieb mir die
Wartezeit, indem ich ein wenig herumwanderte, vom Vordereingang, der zum
Parkplatz
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