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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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lag zwei Türen weiter auf der rechten Seite, und das
Leuchtschild über der Tür zeigte an, dass die Sitzung noch im Gange war. Ich
öffnete leise die Tür und schlüpfte auf einen Platz ganz hinten.
    Lonnie und der gegnerische Anwalt waren
gerade bei einem Vorverfahrenstermin, und ihre Stimmen klangen in der warmen
Luft wie das Gebrumm dicker, fetter Hummeln. Der Richter war damit beschäftigt,
ein Schiedsverfahren anzuberaumen und den Termin für den Schiedsvorschlag und
einen weiteren Einigungsversuch festzulegen. Wie gewöhnlich staunte ich
darüber, dass menschliche Schicksale durch ein Verfahren entschieden werden
konnten, das von außen gesehen so langweilig wirkte. Als der Richter die
Mittagspause verkündete, wartete ich an der Tür. Ich lenkte Lonnies
Aufmerksamkeit auf mich, als er sich umdrehte und auf die kleine Schwingtür
zusteuerte, die den Zuschauerraum vom Gericht abtrennte. Er musterte kurz mein
Gesicht und sagte dann: »Was ist los?«
    »Lassen Sie uns nach draußen gehen, wo
wir ungestört reden können. Sie werden nicht erfreut sein.«
    Wir marschierten wortlos nebeneinander
her, mit klackenden Schritten den Flur entlang, die Betonstufen hinunter und
zum Vorderausgang hinaus auf die Straße. Wir zogen uns gerade so weit auf den
Rasen zurück, dass uns niemand hören konnte. Er wandte sich mir zu und sah mich
an, und ich legte los.
    »Mir fällt kein Weg ein, es Ihnen
schonend beizubringen, also komme ich gleich zur Sache. Es hat sich
herausgestellt, dass Morleys Akten mehr als chaotisch sind. Die Hälfte der
Berichte fehlt, und was da ist, ist auch suspekt.«
    »Was heißt das?«
    Ich holte tief Luft. »Ich glaube, er
hat Ihnen Arbeit berechnet, die er nie geleistet hat.«
    Lonnie guckte verdutzt, während der
Sinn meiner Worte zu ihm durchsickerte. »Sie nehmen mich auf den Arm.«
    »Lonnie, er war herzkrank, und seine
Frau hat Krebs. Wie ich es sehe, brauchte er dringend Geld, aber er hatte wohl
weder die Zeit noch die Kraft, viel zu arbeiten.«
    »Wie hat er sich gedacht, dass er damit
durchkommen würde? Wir haben in nicht mal vier Wochen einen Gerichtstermin. Hat
er im Ernst geglaubt, ich würde nichts merken ?«, fragte er. »Ach, Teufel
noch mal, was rede ich da? Ich habe nichts gemerkt, oder?«
    Ich zuckte die Achseln. »Sonst hat er
ja, soweit ich gehört habe, immer ausgezeichnete Arbeit geleistet.« Ein
schwacher Trost für einen Anwalt, der Gefahr lief, bei der Verhandlung
dazustehen und nichts Nennenswertes in der Hand zu haben.
    Lonnie wurde blass. Offenbar stand ihm
dasselbe Bild vor Augen. »Herrgott, was hat er sich dabei gedacht?«
    »Wer weiß, was er gedacht hat.
Vielleicht hat er ja gehofft, dass es auffliegt.«
    »Wie schlimm ist es?«
    »Na ja, Sie haben immer noch die Zeugen
aus dem Strafprozess. Offenbar hat er die meisten von ihnen vorgeladen, in der
Hinsicht gibt es also keinen Grund zur Aufregung. Aber ich fürchte, etwa die
Hälfte der Zeugen auf der neuen Liste haben nie etwas von ihm gehört. Ich kann
mich natürlich täuschen. Ich habe nur ein paar Stichproben gemacht. Ich gehe
lediglich von der Zahl der Berichte aus, die ich nirgends finde.«
    Lonnie schloss die Augen und fuhr sich
mit der Hand über das Gesicht. »Verschonen Sie mich...«
    »Hören Sie, wir haben noch etwas Zeit.
Ich kann mich an die Arbeit machen und besorgen, was fehlt, aber wenn
irgendeine Komplikation auftaucht, sieht es böse aus. Vielleicht kommt man ja
an manche von diesen Leuten gar nicht mehr ran.«
    »Herrgott, das ist alles meine Schuld.
Ich war mit dieser anderen Sache völlig ausgelastet und bin gar nicht auf die
Idee gekommen, an seiner Arbeit zu zweifeln. Was ich gesehen habe, schien in
Ordnung zu sein. Ich wusste, dass er hinterherhing, aber was er mir gegeben
hat, sah prima aus.«
    »Ja, was da ist, ist auch prima. Das
Problem ist das, was nicht da ist.«
    »Wie lange werden Sie brauchen?«
    »Zwei Wochen mindestens. Ich wollte
nur, dass Sie wissen, was los ist. Über die Feiertage werden sicher viele Leute
beschäftigt oder verreist sein.«
    »Tun Sie Ihr Möglichstes. Um zwei muss
ich nach Santa Maria, zu einer zweitägigen Verhandlung. Ich bin Freitag spät
wieder da, komme aber erst am Montagmorgen wieder ins Büro. Dann können wir
alles besprechen.«
    »Wollen Sie über Nacht dort bleiben?«
    »Ich denke, ja. Ich könnte abends
zurückkommen, wenn es sein müsste, aber es stinkt mir, jedes Mal die Stunde
Fahrzeit dranzuhängen. Nach einem ganzen Tag am Gericht habe ich

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