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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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hinausging, zu der automatischen Glastür am anderen Ende der
Empfangshalle, die den Blick auf eine große Terrasse mit weißen
Gussplastik-Stühlen freigab. Um die Terrasse zog sich wie im 30-Kino das
Panorama der Stadt. Ich konnte mir vorstellen, wie die Beschäftigten des
Senders dort draußen in der heißen Sonne Mittagspause machten — die Frauen mit
dezent hochgezogenem Rock, die Männer ohne Hemd. Eine große Antennenschüssel
beherrschte das Blickfeld. Die Luft sah von hier oben dunstig aus...
    »Ich bin Leland. Was kann ich für Sie
tun?«
    Der Typ, der durch die Tür hinter mir
aufgetaucht war, musste Ende zwanzig sein und hatte bestimmt einen Zentner Übergewicht.
Ein Mopp aus braunen Locken umrahmte ein Baby-Face mit Drahtbrille, klaren,
blauen Augen und roten Backen ohne jeden Bartwuchs. Mit einem Namen wie Leland
war er wirklich geschlagen. Er sah aus wie jene Sorte kleiner Jungen, die vom
ersten Schultag an von den Mitschülern gepiesackt werden: zu intelligent und zu
dick, um von den unbedachten Grausamkeiten der anderen Mittelschichtskinder
verschont zu bleiben.
    Ich stellte mich vor, und wir gaben uns
die Hand. Ich erklärte so kurz und bündig wie möglich, warum ich hier war. »Und
da dachte ich mir, wenn am Tag des Freispruchs Reporter der lokalen Medien
anwesend waren, müsste doch vermutlich auch gefilmt worden sein, wie Barney aus
dem Gerichtssaal kam.«
    »Okay«, sagte er.
    »>Okay<, war eigentlich nicht die
Antwort, die ich hören wollte, Leland. Ich hatte gehofft, es gäbe eine
Möglichkeit, die alten Nachrichtenspots durchzusehen.«
    Leland sah mich verständnislos an. Ich
wünschte, die Arbeit eines Privatdetektivs wäre so einfach, wie es im Fernsehen
immer dargestellt wird. Ich habe noch nie ein Sicherheitsschloss mit meiner
Kreditkarte geöffnet. Ich schaffe es noch nicht einmal, sie in die Türritze zu
zwängen, ohne dass sie kaputtgeht. Und was sollte sie bewirken, wenn man sie
drinnen hat? Bei den meisten Schlössern, die ich in meinem Leben gesehen habe,
ist die schräge Seite des Schnappers innen, so dass es gar nicht möglich
ist, eine Kreditkarte daran entlangzuschieben und das Ding zurückzudrücken. Und
wenn die schräge Seite schon mal außen ist, macht das Schließblech das
Einführen selbst des flexibelsten Instruments einfach unmöglich. Genauso
unerbittlich schien sich auch Leland zu sperren.
    »Wo liegt das Problem? Heben Sie das
Zeug nicht auf?«
    »Das schon. Ich bin mir sicher, dass
wir eine Kopie des Spots haben, den Sie suchen. Die Bänder sind nach Thema und
Datum katalogisiert und mit Querverweisen auf Karteikarten erfasst.«
    »Sie haben sie nicht im Computer?«
    In seinem Kopfschütteln schwang ein
Hauch von Befriedigung. »Die Logistik der Archivierung spielt keine Rolle, weil
ich Ihnen das Band ohne offizielle gerichtliche Anordnung sowieso nicht zeigen
darf.«
    »Ich arbeite für einen Anwalt. Ich kann
eine gerichtliche Anordnung beschaffen. Gar kein Problem.«
    »Dann tun Sie’s. Ich kann warten.«
    »Das glaube ich, aber ich nicht. Ich
brauche die Information so schnell wie möglich.«
    »Das ist Ihr Problem. Ich kann Ihnen
das Band nicht zeigen, solange Sie keine gerichtliche Anordnung haben.«
    »Aber wenn ich sie doch später
beschaffen kann, wo liegt denn da der Unterschied? Ich bin zur Einsichtnahme
berechtigt. Das ist doch der Punkt, oder?«
    »Kein Wisch, keine Einsicht. Das ist
der Punkt«, sagte er.
    Ich kapierte allmählich, warum ihn
seine imaginären Klassenkameraden so gerne peinigten. »Vielleicht versuchen
wir’s mal so?« Ich zog ein Karteifoto von Curtis McIntyre hervor. »Sie könnten
sich doch das Band ansehen und mir sagen, ob dieser Mann da drauf ist. Das ist
alles, was ich wissen will.«
    Er starrte mich mit jener
ausdruckslosen Miene an, die alle erbsenzählenden Bürokraten aufsetzen, während
sie sich überlegen, wie wahrscheinlich es ist, dass sie gefeuert werden, wenn
sie Ja sagen. »Warum wollen Sie das wissen? Ich habe vorhin nicht richtig
zugehört.«
    »Dieser Mensch behauptet, er hätte kurz
nach der Urteilsverkündung in einem Mordprozess mit dem Freigesprochenen
geredet. Er sagt, es sei gefilmt worden, als der Mann aus dem Gerichtssaal kam.
Das heißt, wenn er die Wahrheit sagt, müsste er auf den Aufnahmen deutlich zu
erkennen sein, nicht wahr?«
    »Jaaa«, sagte er langsam. Ich merkte,
dass er dachte, da sei irgendein Trick dabei.
    »Das ist keine Verletzung irgendwelcher
Grundrechte«, sagte ich

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