Dringernder Verdacht
des menschlichen Herzens. Er hielt inne,
damit wir einander vorgestellt werden konnten, und wir tauschten die üblichen
Floskeln aus. »Also, wo war ich?«, fragte er.
Henry sah mich ausdruckslos an.
»William hat mir gerade die medizinischen Prozeduren nach seinem Herzinfarkt
erläutert.«
»Ganz recht. Das wird Sie interessieren«,
sagte William zu mir. »Ich nehme an, Ihre Anatomiekenntnisse sind genauso
rudimentär wie seine.«
»Eine Prüfung würde ich sicher nicht
bestehen«, sagte ich.
»Das war bei mir genauso« erwiderte
William, »bis zu diesem Vorfall. Schau her, Henry, das wirst du dir bestimmt
genauer ansehen wollen.«
»Ich weiß nicht«, sagte Henry.
»Siehst du, die rechte Herzkammer nimmt
das Blut auf, das aus dem Körper kommt, und pumpt es durch die Lunge, wo das
Kohlendioxid und andere Abfallstoffe gegen Sauerstoff ausgetauscht werden. Die
linke Kammer nimmt das sauerstoffreiche Blut aus der Lunge auf und pumpt es
durch die Aorta wieder hinaus in den Körper...« Das Schaubild sah aus wie der
Plan einer Parkanlage mit durch schraffierte Pfeile markierten Einbahnstraßen.
»Wenn diese Arterien verstopfen, wird es problematisch.« William tippte
nachdrücklich mit seiner Gabel auf das Diagramm. »Das ist so, wie wenn ein
Felsrutsch eine Straße blockiert. Der Verkehr wird aufgehalten, und es entsteht
ein böser Stau.« Er blätterte eine Seite weiter, das Heftchen vor der Brust wie
ein Vorschullehrer, der den Kindern etwas vorliest. Das nächste Schaubild war
ein Querschnitt durch ein Herzkranzgefäß, das aussah wie ein mit Flusen
verstopfter Staubsaugerschlauch.
Henry unterbrach ihn. »Haben Sie schon
zu Mittag gegessen?«
»Deshalb bin ich hergekommen.«
»Im Kühlschrank ist Tunfisch. Sie
können uns ein paar Sandwiches machen. Isst du Tunfisch, William?«
»Ich musste es aufgeben. Thun ist
sowieso schon ein sehr fetter Fisch, und dann noch Mayonnaise...« Er schüttelte
den Kopf. »Für mich nicht, danke. Ich werde mir eine von den natriumarmen
Suppen warm machen, die ich mitgebracht habe. Ich möchte ihm keine Mühe machen,
das habe ich ihm auch gesagt. Es gibt nichts Schlimmeres, als den eigenen
Angehörigen zur Last zu fallen. Ein krankes Herz ist noch lange kein
Todesurteil. Mäßigung heißt das Schlüsselwort. Körperliche Betätigung in Maßen,
richtige Ernährung, ausreichend Ruhe... es gibt keinen Grund, weshalb ich nicht
neunzig werden sollte.«
»In unserer Familie werden alle über
neunzig«, sagte Henry schroff. Er patschte die Brotlaibe zurecht und legte sie
nacheinander in eine Reihe gefetteter Backformen.
Ich hörte ein leises Ping.
William nahm seine Taschenuhr heraus
und schnippte den Deckel auf. »Zeit für meine Pillen«, sagte er. »Ich denke,
ich werde jetzt meine Medikamente nehmen und mich dann in meinem Zimmer ein
wenig ausruhen, um den Stress durch den Jet-Lag auszugleichen. Ich hoffe, Sie
entschuldigen mich, Miss Millhone. Es war mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft
zu machen.«
»Ganz meinerseits, William.«
Wir gaben uns wieder die Hand. Der
Vortrag über die Risiken fettreicher Ernährung schien seine Kräfte ein wenig
gestärkt zu haben.
Während ich die Sandwiches zubereitete,
schob Henry sechs Laibe Brot in den Ofen. Wir trauten uns nicht, etwas zu
sagen, da wir hörten, wie William sich im Bad ein Glas Wasser holte und dann
wieder in sein Zimmer zurückging. Wir setzten uns zum Essen.
»Man darf wohl davon ausgehen, dass das
zwei sehr lange Wochen werden«, murmelte Henry.
Ich ging zum Kühlschrank, nahm zwei
Pepsi light heraus und brachte sie mit an den Tisch. Henry öffnete beide und
schob mir dann eines wieder hin. Während wir aßen, informierte ich ihn über den
Stand meiner Ermittlungen, zum einen, weil er es gern hatte, wenn ich ihm von
meiner Arbeit erzählte, und zum andern, weil ich immer wieder feststelle, dass
es mir hilft, meine Gedanken zu ordnen, wenn ich höre, was ich zu sagen habe.
»Und wie ist Ihr Gefühl, was diesen
Barney anbelangt?«, fragte er. Ich zuckte die Achseln. »Der Mann ist ein
Widerling, aber von Kenneth Voigt bin ich auch nicht gerade angetan. Ein
unangenehmer Mensch. Na ja, zum Glück richtet sich die Justiz nicht nach meiner
persönlichen Meinung.«
»Glauben Sie, dass dieser Informant die
Wahrheit sagt?«
»Ich werde schon viel mehr wissen, wenn
klar ist, wo er am einundzwanzigsten Mai war«, sagte ich.
»Warum sollte er lügen? Zumal, wenn es
sich so leicht überprüfen lässt? Wenn er wirklich im
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