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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Gefängnis gesessen hat,
brauchen Sie doch, wenn ich es richtig sehe, nur hinzugehen und in seinen Akten
nachzusehen.«
    »Aber warum sollte David Barney lügen,
wenn da doch genau das Gleiche gilt? Anscheinend ist bisher niemand auf den
Gedanken gekommen, diese Datumsgeschichte zu überprüfen.«
    »Es sei denn, Morley Shine hätte es
getan, ehe er starb.« Henry imitierte die Achtung-bedeutsamer-Moment-Musik
eines Radiohörspiels: »Da-da-da.«
    Ich lächelte, den Mund zu voll mit
Tunfisch-Sandwich, um eine Antwort herauszubringen. »Na, großartig. Das hat mir
gerade noch gefehlt«, sagte ich, sobald ich dazu in der Lage war. »Ich mache
meinen Job ordentlich und segne ebenfalls das Zeitliche.« Ich wischte mir den
Mund mit einer Papierserviette ab und nahm einen Schluck Pepsi.
    Henry machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Das war sicher nur ein Vernebelungsmanöver von Barney.«
    »Ich hoffe sehr, dass es so ist. Ich
weiß wirklich nicht, was ich machen soll, wenn sich herausstellt, dass an
diesem ganzen Zeug etwas dran ist.«
    Berühmte letzte Worte. Ehe ich
aufbrach, rief ich Lieutenant Becker an, um nachzufragen, ob er schon etwas vom
Gefängnisregister gehört hatte.
    »Ich habe eben mit ihnen telefoniert.
Der Mann hat Recht. Curtis McIntyre ist an dem Tag wegen eines Einbruchsdelikts
zur Anklagevernehmung vorgeführt worden. Er könnte natürlich auf dem Weg zum
Haftrichter im Gang an Barney vorbeigekommen sein, aber dann wäre er mit den
anderen Gefangenen zusammengekettet gewesen. Er hätte unmöglich mit ihm reden
können.«
    »Ich sollte wohl herausfinden, was hier
gespielt wird«, sagte ich. »Dann tun Sie’s besser schnell. McIntyre ist heute
Früh um sechs aus der Haft entlassen worden.«
     
     
     

10
     
    Ich eilte zurück ins Büro und rief
Sergeant Hixon an, eine Freundin von mir im Bezirksgefängnis. Sie sah in Curtis
McIntyres Haftakte nach und gab mir die Adresse durch, die er seinem letzten
Bewährungshelfer genannt hatte. Curtis schien jeweils einen Teil des Jahres von
der mietfreien Wohnmöglichkeit zu profitieren, die das Santa Teresa County
Sheriffs Department bot — für ihn wahrscheinlich so etwas wie ein
Time-Share-Ferienappartment auf Hawaii. Wenn er nicht gerade die Gratis-Mahlzeiten
und die Volleyballanlagen der Bezirksstrafanstalt nutzte, bewohnte er offenbar
ein Zimmer im Thrifty Motel (»tage-, Wochen-, monatweise... mit Kochgelegenheit«)
an der oberen State Street.
    Ich parkte meinen VW auf der
gegenüberliegenden Straßenseite und musterte das Etablissement, das, wie ein
kurzer Überschlag ergab, in bequemer Gehweite des Gefängnisses lag. Curtis
brauchte bei der Entlassung noch nicht einmal das Geld für ein Taxi zu
berappen. Ich dachte mir, dass er wohl in dem einzigen Zimmer wohnen musste,
vor dem kein klappriger Wagen stand. Die übrigen Bewohner verfügten über ein
Sortiment von Chevies und zehn Jahre alten Cadillacs, die bevorzugten Vehikel
von Auto-Versicherungsbetrügern, was sie ja vielleicht auch waren. Curtis war
noch nicht lange genug auf freiem Fuß, um schon wieder illegalen Aktivitäten
nachzugehen. Nun ja, vielleicht Verunreinigung städtischer Anlagen,
unsittliches Verhalten oder Spucken in der Öffentlichkeit, aber nichts Ernstes.
    Das Thrifty Motel wirkte wie eine jener
Absteigen, die schon Bonny und Clyde als Unterschlupf dienten. Es war L-förmig,
aus Hohlblocksteinen gebaut und in jenem eigentümlichen Grün gestrichen, das
Eigelb annimmt, wenn es zu lange gekocht wird. Es hatte insgesamt zwölf Zimmer,
jedes mit einer kleinen Eingangsveranda, die kaum größer war als eine Fußmatte.
Jemand hatte Stiefmütterchen in lauter Kaffeedosen der gleichen Marke gepflanzt
und jeweils zwei oder drei davon um die Treppenstufen arrangiert. Das Büro am
Eingang wurde dominiert von einem Cola-Automaten, und die Frontscheibe war mit
Faksimiles aller gängigen Kreditkarten bepflastert.
    Ich wollte gerade die Straße überqueren
und nachsehen, ob er da war, als ich ihn aus genau dem Raum treten sah, den ich
ihm im Stillen zugeordnet hatte. Er wirkte ausgeruht und frischrasiert und trug
Jeans, ein weißes T-Shirt und eine Jeansjacke. Er fuhr sich mit einem Kamm
durchs Haar, das noch duschfeucht war und sich um seine Ohren kringelte. Er
rauchte und kaute gleichzeitig Kaugummi, eine herb-frische Duftkomposition für
den Atem. Ich ließ den VW an und folgte ihm in einiger Entfernung.
    Ich behielt ihn im Auge, während er in
westlicher Richtung davonschlenderte und

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