Dringernder Verdacht
Wangenknochen, eine markante Kieferpartie, eine lange, gerade Nase
und einen Schmollmund mit einer ausgeprägten Oberlippe. Sie trug weite, weiße
Hosen aus einem geschmeidig fallenden Material und eine lange, pfirsichfarbene
Tunika mit einem schweren Ledergürtel. Ihre Hände waren schmal, die Finger
lang, die Nägel konisch gefeilt und lackiert. Sie hatte einen Satz schwerer,
silberner Armreifen am Handgelenk, die wie Ketten klirrten und mich in meinem
Verdacht bestätigten, dass Glamour eine Bürde ist, die nur schöne Frauen
verkraften. Sie sah aus, als würde sie nach Flieder oder frisch geschälten
Orangen duften.
Francesca streckte mir lächelnd die
Hand hin, und wir stellten uns vor. »Setzen Sie sich. Ich bin gleich fertig.
Wenn Sie möchten, kann uns Guda ein Gläschen Wein bringen.«
»Das wäre nett.«
Ich sah mich um und bekam gerade noch
mit, wie Gudas Blick zu Francescas Gürtelschnalle hinabglitt. Ich deutete es
als Zeichen dafür, dass sie verstanden hatte und gehorchen würde. Sie nickte
und schwebte auf ihren Kreppsohlen hinaus. »Spricht sie Englisch?«, fragte ich,
als die Tür zu war.
»Nicht fließend, aber gut genug. Sie
ist Schwedin. Sie ist erst einen Monat bei uns. Die Ärmste. Ich weiß, sie hat
Heimweh, aber ich bekomme nicht viel aus ihr heraus.« Sie setzte sich wieder an
ihre Maschine und nahm sich eine Bahn hauchdünnen blauen Stoffs vor, die sie an
dem einen Ende gereiht hatte. »Ich hoffe, Sie finden mich nicht unhöflich, aber
ich lasse ungern ein Stück halb fertig liegen.«
Sie drehte die Stoffbahn mit einer
geübten Bewegung um, verstellte einen Knopf und nähte mit Zickzack-Stichen über
das andere Ende. Die Nähmaschine gab ein beruhigendes, tiefes Surren von sich.
Ich sah ihr zu und hatte das Gefühl, als sei ich stumm. Ich verstand nicht
genug vom Nähen, um eine konkrete Frage formulieren zu können, aber Francesca
schien meine Neugier zu spüren. »Das wird ein Turban, falls Sie sich fragen,
was ich hier mache. Ich entwerfe Kopfbedeckungen für Krebspatientinnen.«
»Wie sind Sie darauf gekommen?«
Sie legte ein Stück Klettband auf den
Stoff und nähte es entlang der Kanten fest, indem sie den Antriebshebel der
Maschine mit dem Knie bediente. »Ich musste mich vor zwei Jahren einer
Chemotherapie unterziehen, wegen Brustkrebs. Eines Morgens, als ich unter der
Dusche stand, fielen mir die Haare in dicken Büscheln aus. Ich hatte in einer
Stunde eine Lunch-Verabredung, und da stand ich mit meinem Kahlkopf. Ich band
mir einen improvisierten Turban um, aus einem Schal, den ich gerade zur Hand
hatte, aber es war nicht gerade der große Hit. Synthetik hält nicht so gut auf
der glatten Kopfhaut. Diese Geschäftsidee hat mich während der Chemotherapie
aufrechterhalten und wieder auf die Beine gebracht. Komisch, wie so etwas
läuft. Die tragischsten Dinge können sich ins Positive wenden, wenn man offen
dafür ist.« Sie sah zu mir herüber. »Waren Sie je ernstlich krank?«
»Ich bin zusammengeschlagen worden.
Zählt das?«
Sie reagierte nicht mit den üblichen
Ausrufen indignierten Entsetzens. Nach dem, was sie durchgemacht hatte,
erschien ihr ein schlichter Schlägerei-K.o. wahrscheinlich als mindere
Widrigkeit. »Rufen Sie mich an, falls Ihnen das noch einmal passiert. Ich habe
Spezial-Kosmetika zum Abdecken von Blutergüssen. Ich führe nämlich eine ganze
Produkt-Linie für alle Wechselfälle des Lebens. Die Firma heißt >Steck’s
weg<. Ich bin die Alleineigentümerin.«
»Wie geht es Ihnen jetzt gesundheitlich?«
»Gut. Danke für die Nachfrage.
Heutzutage schaffen es viele. Es ist nicht mehr wie früher, als eine
Krebsdiagnose noch ein Todesurteil war.« Sie nähte das zweite Stück Klettband
fest, stellte das Füßchen hoch, zog das fertige Werk darunter weg und schnitt
die Fäden ab. Dann drapierte sie den Turban gekonnt um ihren Kopf. »Na, was
sagen Sie?«
»Sehr exotisch«, sagte ich. »Aber Sie
könnten sich auch Klopapier um den Kopf wickeln und würden immer noch gut aussehen.«
Sie lachte. »Das gefällt mir. Der Einmal-Turban.« Sie notierte es sich im
Stillen, setzte dann den Turban ab und schüttelte ihr Haar aus. »Fertig. Gehen
wir doch nach draußen auf die Terrasse. Wir können ja die Heizung anstellen,
wenn es kalt wird.«
Von der breiten Steinterrasse hinter
dem Haus sah man über Santa Teresa und bis zu den Bergen. Unter uns brannten
schon Straßenlaternen, die das Gitternetz der Straßen nachzeichneten. Wir
setzten uns in Korbsessel mit
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