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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Ich beugte mich nach rechts, um ins Handschuhfach zu
gucken, das voller Krempel war. Das war schon eher nach meinem Geschmack.
Lappen, eine Damenhaarbürste, weitere Benzinquittungen (alle aus der Gegend und
keine jüngeren Datums), ein Schraubenschlüssel, ein Päckchen Kleenex-Tücher,
ein gebrauchtes Scheibenwischerblatt, Versicherungs- und Anmeldebescheinigungen
für die letzten sieben Jahre. Ich nahm Stück um Stück heraus, aber nichts
schien in irgendeinem Zusammenhang mit diesem Fall zu stehen.
    Ich packte alles wieder ins
Handschuhfach zurück, wobei ich es gleich noch ordnete. Ich richtete mich auf,
legte die Hände wieder um das Steuerrad und stellte mir vor, ich sei Morley.
Bei meinen Durchsuchungsaktionen finde ich die Hälfte der Zeit nichts, aber ich
gebe die Hoffnung nicht auf. Ich denke immer, es wird schon etwas zum Vorschein
kommen, wenn ich nur die richtige Schublade aufziehe, in die richtige
Jackentasche greife. Ich prüfte den Aschenbecher: er war immer noch voll.
Morley hatte wohl einen Haufen Zeit in dem Mercury verbracht. In diesem Metier,
in dem man dauernd unterwegs ist, wird einem der Wagen zum mobilen Büro, zum
Patrouillenfahrzeug, zum Observierungsposten, wo man nächtelang auf der Lauer
liegt, und zeitweise sogar zum Motel, wenn in der Reisekasse Ebbe ist. Der
Mercury war perfekt, alt und unauffällig, genau die Sorte Wagen, die man im
Rückspiegel hat, ohne sie wirklich zu registrieren. Ich wandte mich jetzt den
Gefilden oberhalb meiner Augenhöhe zu.
    Auf die Sonnenblende hatte er einen
kunstledernen Vorsatz mit einem Spiegel, einer Tasche für die Sonnenbrille,
einem Stift und einem unbenutzt aussehenden Block gesteckt. Das Ding wurde von
zwei dünnen Metallklemmen gehalten. Ich griff nach oben und klappte die Blende
herunter. Auf der Rückseite hatte Morley einen länglichen Papierstreifen unter
eine der Klemmen geschoben. Es war der perfekte Ort, um solche Zettel
aufzubewahren: Erledigungslisten, Reinigungsbons, Parkscheine. Der
Papierstreifen stammte von der perforierten Verschlussklappe einer Filmtüte von
einem Foto-Schnelldienst in einem Einkaufszentrum in Colgate. Er trug eine
Nummer, aber kein Datum, so dass er schon seit Monaten dort geklemmt haben
konnte. Ich steckte ihn in die Tasche, stieg aus und schloss den Wagen wieder
ab. Dann drehte ich meine Strafrunde zum Wirtschaftsraum, um die Schlüssel in
der braunen Tasche mit den Akten zu deponieren.
    Ich fuhr fünf Straßen weiter zum
Einkaufszentrum. Durch das Schaufenster des Foto-Schnelldienstes sah ich einen
Asiaten mit Gummihandschuhen Filme aus dem Entwicklerbad fischen. Auf einem
Transportband wanderten fertige Abzüge langsam an der einen Seite des Fensters
nach vorn und quer vorüber. Ich blieb fasziniert stehen und sah zu, wie eine
Geburtstagsparty ihren Lauf nahm: vom Kuchen und den eingepackten Geschenken
auf einem Tisch hin zu einer Horde grinsender Gratulanten, die geschniegelt und
selbstgefällig dastanden, während sich das überraschte Geburtstagskind im
verschwitzten Tennisdress bemühte, gute Miene zu machen. Ich wollte Zeit
schinden, das Unvermeidliche hinauszögern. Ich wollte, dass sich der abgegebene
Film als die große Offenbarung entpuppte. Ich wollte, dass die Fotos in einem
zentralen und bedeutsamen Zusammenhang mit den Ermittlungen standen. Ich wollte
Morley weiter für den guten Detektiv halten können, für den ich ihn immer
gehalten hatte. Ach, verdammt. Ich schob die Tür auf und trat ein. Besser, ich
brachte es hinter mich. Es sprach manches dafür, dass ich gleich eine Serie von
Schnappschüssen aus seinem letzten Urlaub in den Händen halten würde.
    Im Laden roch es scharf nach
Chemikalien. Außer mir war keine Kundschaft da, und der junge Mann, der mich
bediente, war im Nu mit der Tüte zur Stelle. Ich zahlte 7 Dollar 6 5, und
er versicherte mir, dass ich für alle Abzüge, die mir nicht gefielen, mein Geld
zurückerhalten würde. Ich ließ den Umschlag zu und ging zu meinem Auto. Ich
stieg ein und deponierte die Tüte, gegen das Steuerrad gelehnt, auf meinem
Schoß. Schließlich riss ich die Klappe auf. Ich ließ die Bilder herausgleiten.
    Mir entfuhr ein Laut der Verblüffung...
kein richtiges Wort, nur irgendetwas mit einem hörbaren Ausrufezeichen
dahinter.
    Es waren insgesamt zwölf Fotos, alle am
unteren Rand mit dem Datum vom letzten Freitag gekennzeichnet. Was ich da vor
mir hatte, waren sechs weiße Lieferwagen aus jeweils zwei verschiedenen
Perspektiven. Einer trug ein

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