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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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hätte. Es stand zu viel auf dem Spiel, um
voreilige Schlüsse zu ziehen. Lieber nach der guten, alten Lehrbuchmethode
vorgehen. Der erste Schritt musste sein, Fotos von mehreren ähnlichen
Fahrzeugen zu machen, unter anderem auch von dem Lieferwagen, der Tippys Vater,
Chris White, gehörte. Wenn Regina Turner diesen Wagen wieder erkannte, hatte
ich einen konkreten Ansatzpunkt. Der zweite Schritt würde natürlich darin
bestehen, dahinter zu kommen, wer am Steuer gesessen hatte.
     
     
     

14
     
    Ich fuhr zurück ins Büro und parkte
wieder auf Lonnies Platz. Wie üblich nahm ich immer zwei Treppenstufen auf
einmal, bis in den dritten Stock, wo ich mich einen Moment keuchend an die Wand
lehnte, bis ich wieder zu Atem gekommen war. Ich betrat die Kanzlei durch die
unscheinbare, schilderlose Tür auf der Hälfte des Flures. Wir benutzten diesen
Ausgang als Abkürzung zu den Toiletten auf der anderen Flurseite. Ursprünglich
bestand der dritte Stock aus sechs separaten Büro-Suiten, aber Kingman und Ives
haben nach und nach allen verfügbaren Raum vereinnahmt, außer den Klos, die
draußen am Korridor liegen, damit sie für die Allgemeinheit zugänglich sind.
    Ich schloss meine Tür auf und hörte als
Erstes meinen Anrufbeantworter ab. Louise Mendelberg hatte angerufen, um zu
fragen, ob es vielleicht möglich sei, dass ich Morleys Schlüssel am Nachmittag
zurückbrächte. Morleys Bruder wurde demnächst erwartet, und sie wollten, dass
er das Auto benutzen konnte. Wenn es mir nicht zu viel Umstände mache, könne
ich jederzeit kommen.
    Ich beschloss, meinen Schreibtisch
aufzuräumen und dann die Akten zu kopieren, die ich aus Morleys Haus
mitgenommen hatte, damit ich sie ebenfalls gleich zurückbringen konnte. Ich
setzte mich hin und sah die Post durch, packte die Rechnungen auf einen Stapel
und stopfte den ganzen Reklame-Mist in den Papierkorb. Ich öffnete die Rechnungen und stellte
einen kurzen Überschlag an. Jawohl, ich konnte sie bezahlen. Nein, es war mir
nicht möglich, meinen Job an den Nagel zu hängen und von meinen Ersparnissen zu
leben, die ohnehin gleich null waren. Ich prüfte kurz meinen Kontostand und
bezahlte ein, zwei Rechnungen, nur so zum Spaß. Nehmt hin, ihr Gas- und
Elektrizitätswerke. Ha, ha, ha! Wieder nichts, Pacific Telephone.
    Ich suchte die Akten zusammen und ging
nach unten zum Kopierer. Ich brauchte dreißig Minuten, um alles zu kopieren und
wieder abzuheften. Ich steckte die Originale in die Einkaufstüte, die Louise
mir gegeben hatte, sortierte einen Karton mit Unterlagen aus, um sie zu Hause
durchzusehen, holte dann meine 35-Millimeter-Kamera aus der untersten Schublade
und lud sie mit einem Farbfilm. Ich nahm mir das Telefonbuch vor und suchte
Tippys Vater in den gelben Seiten unter >Malerfachbetriebe< Chris Whites
Firma, Olympic Painting, figurierte auf einer ansehnlichen viertelseitigen
Kasten-Anzeige, unter Nennung seines Namens, der Firmenadresse, der
Telefonnummer und der Lizenznummer sowie des Spektrums der angebotenen
Dienstleistungen: »Malerarbeiten aller Art, Druckstrahlverfahren (Wasser wird
gestellt), eigene Farbherstellung und -mischung, Tapezierarbeiten«. Ich
notierte, was mir für meine Zwecke relevant erschien. Wenn ich die Akten
zurückgebracht hatte, würde ich fünf, sechs weiße Lieferwagen suchen und Fotos
machen. Ich hielt einen kurzen Schwatz mit Ida Ruth und verließ die Kanzlei
durch die gleiche Tür, durch die ich gekommen war, beladen mit der
Einkaufstasche und dem Karton.
    Die Fahrt nach Colgate war ganz nett.
Es war ein klarer, kalter Tag, und ich stellte die Heizung des VW so, dass sie
mir heiße Luft auf die Füße blies. Allmählich dachte ich ernsthaft über die
Möglichkeit nach, dass David Barney unschuldig war. Bisher waren wir davon
ausgegangen, dass er Isabelle erschossen hatte. Er bot sich als Tatverdächtiger
an, weil er die Mittel, das Motiv und die Gelegenheit gehabt hätte, sie
umzubringen, aber Mord ist oft etwas Unlogisches, geboren aus Leidenschaften,
die durch Besessenheit und innere Qual deformiert sind. Emotionen fließen nicht
geradlinig. Wie Wasser sickern unsere Gefühle in Ritzen und Spalten, suchen
sich die kleinen Nischen der Bedürftigkeit und der ungestillten Sehnsüchte, die
feinen Haarrisse in unserem Charakter, die man von außen normalerweise nicht
sieht. Wehe, wenn an die Sammelgrube im Grunde unseres Herzens gerührt wird. In
ihren eisigen, schwarzen Tiefen hausen seltsame, unberechenbare Kreaturen, die
man besser

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