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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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dunkelblaues Firmenzeichen aus fünf ineinander
greifenden Ringen. Die Aufschrift lautete Olympic Painting. Darunter stand
Chris Whites Name, mit einer Telefonnummer daneben. Morley war auf der gleichen
Fährte gewesen wie ich, aber was hatte das zu bedeuten?
    Ich ging die Fotos noch einmal durch.
Es schien, als hätte er genau das getan, was ich selbst vorgehabt hatte. Er
hatte offensichtlich Firmenparkplätze und Gebrauchtwagenhändler abgeklappert
und sechs bis sieben Jahre alte weiße Lieferwagen fotografiert, ein paar mit
Firmenzeichen, andere ohne. Außer Chris Whites Firmenwagen waren da der
Kleintransporter eines Gartenbaubetriebes und der Wagen eines Party-Service mit
einem geschlossenen Kasten. Clever gemacht. Die Verschiedenheit der Lieferwagen
in dieser Vorführserie erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass unsere einzige
Zeugin sich doch noch an konkretere Details erinnerte.
    Ich starrte durch die Windschutzscheibe
und grübelte, was das alles wohl zu bedeuten hatte. Wenn er bei Regina Turner
im Gipsy Motel gewesen war, hatte sie nichts davon gesagt. Aber sie hätte es
doch sicher angesprochen, wenn sie zwei Mal zu ein und demselben Unfall vor
sechs Jahren befragt worden wäre. Aber woher konnte er von dem Firmenzeichen
und der Farbe des Fahrzeuges gewusst haben, wenn nicht von ihr? Vielleicht
hatte ihm David Barney von dem Wagen erzählt, der ihn fast erwischt
hatte. Vielleicht war Morley auch auf die Idee gekommen, die alten Zeitungen
durchzusehen. Vielleicht hatte er sich eine Kopie des Polizeiprotokolls über
den tödlichen Fahrerflucht-Unfall beschafft und dann beschlossen, gleich Fotos
mitzunehmen, wenn er die einzige Zeugin aufsuchte. Der verantwortliche Beamte
am Unfallort hatte sicher die Beschreibung des Fahrzeugs sowie Reginas Namen
und Arbeitsadresse aufgenommen. Das Problem war nur, dass ich in den Akten, die
ich gefunden hatte, weder auf das Polizeiprotokoll gestoßen war noch auf
irgendwelche Zeitungskopien, die darauf hätten schließen lassen, dass er sich
für die sonstigen Geschehnisse in der Mordnacht interessiert hatte. Wenn ich an
einem Fall arbeite, mache ich immer einen Haufen Notizen. Wenn mir etwas
zustieße, würde der nächste, der die Ermittlungen übernahm, gleich wissen, was
ich gemacht und was ich vorgehabt hatte. Aber ganz offensichtlich hatte Morley
nicht so gearbeitet...
    Oder vielleicht doch?
    Ich hatte ihn immer für schlau und
tüchtig gehalten. Der Mann, der mir dieses Handwerk beigebracht hatte, war in
Kleinigkeiten geradezu pedantisch, und da er und Morley Partner gewesen waren,
hatte ich immer unterstellt, dass sie diese Arbeitshaltung teilten. Deshalb war
ich wahrscheinlich auch so schockiert gewesen, als ich Morleys Büros gesehen
hatte. Der chaotische Zustand seiner Unterlagen hatte mich an seiner
Professionalität zweifeln lassen. Aber wenn er nun gar nicht so unorganisiert
gewesen war, wie es schien?
    Ein Bild drängte sich mir plötzlich
auf.
    Als ich klein war, kursierte bei uns in
der Grundschule eine Zeit lang ein neuer Kult-Artikel. Es war ein
Wahrsageinstrument, eine »Kristallkugel«, bestehend aus einer geschlossenen
Plastikkugel mit einem kleinen Guckfensterchen. Sie war mit einer dunklen
Flüssigkeit gefüllt, in der eine Art Würfel mit vielen Seitenflächen schwamm.
Darauf standen verschiedene Botschaften. Man stellte eine Frage und drehte die
Kugel auf den Kopf. Wenn man sie wieder umdrehte, stieg der Würfel an die Oberfläche,
und eine der Aufschriften zeigte nach oben. Das war dann die Antwort auf die
gestellte Frage.
    Ich spürte, wie aus meinem tiefsten
Inneren eine Botschaft emporzusteigen begann. Irgendetwas war hier faul, aber
was? Ich musste daran denken, wie David Barney angedeutet hatte, es sei doch
eine erstaunliche Parallelität der Ereignisse, dass Morley gerade jetzt
gestorben war. War da etwas dran? Ich konnte dieser Frage im Moment nicht
weiter nachgehen, aber sie hatte eindeutig etwas Beunruhigendes. Ich schob den
Gedanken weg, ahnte aber schon, dass er sich wie eine Klette in meinem Kopf
festsetzen würde. Immerhin hatte mir Morley mit den Fotos einen Arbeitsschritt
erspart, und dafür war ich dankbar. Es tröstete mich, dass wir offensichtlich
in die gleiche Richtung gedacht hatten. Ich konnte jetzt direkt zum Gipsy Motel
zurückfahren und Regina Turner die Bilder vorlegen.
     
    »Na, das ging aber schnell«, sagte sie,
als sie mich sah.
    »Ich hatte Glück«, sagte ich. »Ich bin
zufällig auf ein paar geeignete Bilder

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