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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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der Einfahrt. Ich ging um den Bungalow herum zur
Vordertür, meinen Plastiksack mit mir schleppend wie ein verirrter
Weihnachtsmann. Beim zweiten Hinsehen wirkte das Etablissement noch trostloser
als beim ersten Mal. Die Außenwände waren in leuchtendem Ostereier-Türkis gestrichen,
die Fensterrahmen und Dachverzierungen rauchweiß. Diverse Reklameschilder
zwischen den Schaufenster-Schneewehen verkündeten, dass dieser Salon nunmehr
Jhirmack und Redken führte. Ich trat ein.
    Diesmal war der Laden leer, und Betty,
die wohl die Inhaberin sein musste, saß hinten bei einem Kaffee und einer
Zigarette über ihren Abrechnungsbüchern. »Wo sind dann die anderen?«
    »Sie sind essen gegangen. Jeannie hat
heute Geburtstag, und ich habe gesagt, ich hüte das Telefon. Was kann ich für
Sie tun?«
    »Ich muss noch mal in Morleys Büro.«
    »Nur zu«, sagte sie achselzuckend.
    Jemand hatte die Rouleaus
heruntergelassen. Das Licht im Raum war gelbbraun, trübe Sonne, durch rissiges
Papier gefiltert. An meine Nase drang neben dem Flair von Schimmel und Hausstaub
der Geruch von alten Zigarettenkippen, vermischt mit dem Aroma von dampfendem
Kaffee und frischem Rauch, das vom Salon nebenan durch das Heizgebläse
herüberdrang.
    Eine kursorische Durchsuchung der
Schreibtisch-Schubladen und Aktenschränke erbrachte in Sachen toxische
Substanzen rein gar nichts. Im Bad fand ich eine Dose Scheuerpulver, deren
ganzer Inhalt aus ein paar kleinen Klümpchen bestand, die beim Schütteln wie
Trockenerbsen rasselten. Im Medizinschrank war nichts außer einem halb leeren
Fläschchen Verdauungspillen. Ich steckte auch diese in meinen Sack, für den
Fall, dass sie mit Rattengift, zerstoßenem Glas oder Mottenkugeln versetzt
waren. Nachdem ich dieses kleine Melodram nun einmal inszeniert hatte, fühlte
ich mich verpflichtet, es bis zum Ende durchzuspielen. Der Mülleimer im Bad war
leer. Ich ging wieder in das Büro zurück, um den Papierkorb unter Morleys
Schreibtisch zu überprüfen, aber er war spurlos verschwunden. Ich sah mich
verdutzt um. Ich hatte ihn doch bei meinem ersten Besuch hier gesehen.
    Ich öffnete die Verbindungstür und
steckte den Kopf hindurch. »Wo ist denn Morleys Papierkorb abgeblieben?«
    »Draußen auf der Treppe.«
    »Danke. Könnten Sie mir noch einen
Gefallen tun?«
    »Ich kann’s versuchen«, sagte sie.
    »Es könnte sich herausstellen, dass
Morleys Büro Schauplatz eines Verbrechens war. Aber sicher wissen wir das erst
in ein paar Tagen. Könnten Sie solange aufpassen, dass nichts verändert wird?«
    »Was heißt das? Keinen reinlassen?«
    »Ganz recht. Nichts anfassen und nichts
wegwerfen.«
    »Das hat Morley immer schon so
gehalten«, sagte sie.
    Ich schloss die Tür wieder und barg den
Papierkorb von der Vordertreppe, wo sich jetzt ein Ameisen-Ho-Chi-Minh-Pfad
über den Beton schlängelte. Mit spitzen Fingern pulte ich darin herum, während
ich gleichzeitig Ameisen wegschnippte. Ich setzte mich auf die oberste Stufe
und machte mich daran, den Korb auszukippen. Papier, Kataloge, gebrauchte
Kleenex-Tücher, Styropor-Kaffeebecher. Die Pappschachtel mit dem halbaufgegessenen
Backwerk war inzwischen zur Hauptnahrungsquelle der wimmelnden Ameisenkolonie
geworden. Ich stellte den Karton neben mich auf die Treppe und inspizierte
rasch den Inhalt. Morley musste auf dem Weg noch eben beim Bäcker
vorbeigefahren sein, sich ein kleines Nasch-Häppchen geholt und es mit hierher
genommen haben. Er hatte die Hälfte gegessen und dann den Rest weggeworfen,
wahrscheinlich aus schlechtem Gewissen, weil er gegen seinen Diätplan verstoßen
hatte. Ich musterte das verbliebene Stück genauer, kam aber nicht dahinter, was
es war. Obst schien es nicht zu sein, aber womit sonst machte man Strudel? Ich
sammelte die Überbleibsel sorgfältig ein und wickelte sie in das Papier, in das
die Pappschachtel ursprünglich eingepackt gewesen war.
    Sonst war nichts Interessantes zu
finden. Ich stopfte alles wieder in den Papierkorb zurück und stellte diesen
gleich innen hinter die Tür, die ich von außen abschloss. Ich ging zu meinem
Wagen und brachte meine ganze Müllsammlung zur Gerichtsmedizin, wo ich sie der
Sekretärin aushändigte, damit sie sie an Burt weitergab.
    Mir war nur danach, Schluss zu machen
und nach Hause zu fahren. Dieser ganze Fall schlug mir auf den Magen. Ich war
kaputt und deprimiert. Das Einzige, was ich bisher erreicht hatte, war, Lonnies
Prozess zu demontieren. Dank meiner Bemühungen war die Aussage

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