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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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unseres
Informanten inzwischen unsicher, und der Angeklagte selbst hatte ein Alibi.
Noch mehr solcher illustren Beiträge meinerseits, und Barneys Anwalt würde die
Niederschlagung des Verfahrens erwirken können. Beklemmung schnürte mir die Brust
zu, und ich fühlte eine Angst tief im Bauch, wie ich sie seit meiner
Grundschulzeit nicht mehr gekannt hatte. Ich wollte ja nicht jammern, aber ich
merkte immer mehr, wie der Rausschmiss durch die CF mein Selbstbewusstsein
unterminiert hatte. Früher hatte ich immer aus dem Instinkt heraus gehandelt.
Ich war zwar während meiner Ermittlungen immer wieder mal frustriert gewesen,
aber ich hatte mit einer schon fast arroganten Selbstsicherheit operiert,
getragen von der festen Überzeugung, dass ich diesen Job letztlich so gut
machte wie jeder andere. So verunsichert wie jetzt hatte ich mich nie gefühlt.
Was sollte werden, wenn ich mich zum zweiten Mal innerhalb von sechs Wochen auf
der Straße wieder fand?
    Ich fuhr nach Hause und putzte wie
Aschenputtel unter Amphetaminen. Das war das Einzige, was meine Anspannung
lösen konnte. Ich griff mir ein paar Putzschwämme und den Haushaltsreiniger und
nahm das Bad oben unterm Dach in Angriff. Ich weiß nicht, wie Männer mit den
Stresssituationen des Lebens umgehen. Sie spielen vielleicht Golf oder
reparieren Autos oder trinken Bier und sehen fern. Die Frauen, die ich kenne
(die, die nicht fress- oder kaufsüchtig sind) suchen ihr Heil im Putzen. Ich
legte mit Putzlappen und Wischmopp los und mähte die Keime mit üppigen Desinfektionsmittel-Dosen
nieder, indem ich sämtliche sichtbaren Flächen je nachdem besprühte oder
einschäumte. Was mir entkam, schlug ich zumindest kampfunfähig.
    Um sechs machte ich Pause. Meine Hände
rochen nach Scheuerflüssigkeit. Ich hatte nicht nur das gesamte obere Bad in
einen hygienisch einwandfreien Zustand versetzt, sondern auch noch den Dachraum
staubgewischt und gesaugt und die Bettwäsche gewechselt. Ich wollte mich gerade
an meine Kommodenschubladen machen, als ich merkte, dass es an der Zeit war,
einen Happen zu essen. Vielleicht war es sogar Zeit, ganz Feierabend zu machen.
Ich nahm eine kurze Dusche und zog dann frische Jeans und einen sauberen
Rollkragenpullover an. Bis zum Seiberkochen ging mein Häuslichkeitsanfall dann
doch nicht. Ich schnappte mir meine Umhängetasche und eine Jacke und
marschierte zu Rosie.
    Es bestürzte mich etwas, feststellen zu
müssen, dass es genauso voll war wie am Vorabend. Diesmal war statt der
Keglerinnen offenbar ein Softball-Team da — Typen in Trainingshosen und einheitlichen,
kurzärmligen Trikots, die hintendrauf den Namen einer örtlichen Elektro-Firma
trugen. Jede Menge Zigarettenqualm, erhobene Bierkrüge und kehlige Lachsalven,
wie sie der Alkohol entfesselt. Das Lokal wirkte wie einer dieser
Bier-Werbespots, wo die Leute sich so höllisch gut amüsieren wie im wirklichen
Leben nie. Aus der Juke-Box dröhnte ein Song-Cut, der so entstellt war, dass
man ihn kaum identifizieren konnte. In dem Lernseher am einen Ende der Bar
liefen die Sportnachrichten, und man sah immer neue Runden irgendeines
endlosen, staubigen Stock-Car-Rennens. Niemand schenkte dem Spektakel auch nur
die geringste Aufmerksamkeit, aber der Ton war laut aufgedreht, damit er gegen
das allgemeine Getöse ankam.
    Rosie sah alldem mit einem zufriedenen
Strahlen zu. Was war nur mit dieser Frau passiert? Sonst hatte sie niemals Lärm
geduldet, sich nie als Sportler-Stammkneipe zu profilieren versucht. Ich hatte
immer befürchtet, das Lokal könnte irgendwann von den Yuppies entdeckt und in
einen schicken Treff für Manager und Anwälte umfunktioniert werden. Aber es
wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass ich mich hier einmal Ellbogen an
Ellbogen mit einer Horde Sportschau-Süchtiger drängeln würde.
    Ich entdeckte Henry und seinen Bruder
William. Henry trug Bermudas, ein weißes T-Shirt und Leinenschuhe, und seine
langen, braunen Beine wirkten muskulös und kräftig. William steckte immer noch
in seinem Anzug, hatte aber die zugehörige Weste abgelegt. Während Henry lässig
auf seinem Stuhl lümmelte, ein Bier vor sich, saß William kerzengerade vor
einem Mineralwasser mit Zitronenschnitz. Ich winkte Henry zu und steuerte meine
Lieblingsnische ganz hinten an. Auf halbem Weg blieb ich stehen. Henry sah mich
mit einem solchen Ausdruck stummen Flehens an, dass ich mich doch für seinen
Tisch entschied.
    William erhob sich.
    Henry schob mir mit dem Fuß einen Stuhl
hin. »Möchten

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