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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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zwar ohne Pardon.
Er tat mir fast schon Leid. Die Juke-Box verstummte, und der Lärmpegel sank.
Die Stille war eine Wohltat.
    William schob seinen Stuhl zurück und
erhob sich höflich. »Miss Rosie. Welch eine Freude. Ich hoffe, wir können Sie
überreden, sich zu uns zu setzen.«
    Ich sah vom einen zum anderen. »Sie
kennen sich schon?«
    Henry sagte: »Sie war vorhin schon mal
an unserem Tisch, als wir gekommen sind.«
    Rosies Blick wanderte zu William und
senkte sich dann bescheiden. »Aber Sie sind vielleicht gerade in Unterhaltung«,
sagte sie, wie immer eine Extra-Bestätigung heischend. Und das von dieser Frau,
die jeden gnadenlos tyrannisierte.
    »Ach, kommen Sie. Setzen Sie sich«,
bekräftigte ich Williams Einladung. Er stand noch immer und wartete
offensichtlich ab, dass sie sich setzte, wozu sie jedoch keine Anstalten
machte.
    Henry und mich nahm Rosie kaum zur
Kenntnis. Die Blicke, mit denen sie William bedachte, schwankten zwischen
kokett und forschend. Jetzt musterte sie das EKG. Sie steckte die Hände unter
die Schürze. »Sinus-Tachykardie«, verkündete sie. »Herz schlägt plötzlich
hundert Mal in Minute. Ist schreckliches Gefühl.«
    William sah sie überrascht an. »Genauso
ist es«, sagte er. »Ich habe erst heute Nachmittag einen solchen Anfall gehabt.
Ich musste die Not-Ambulanz aufsuchen. Der Arzt dort hat diese Untersuchung
gemacht.«
    »Ist nichts zu machen«, sagte sie mit
Genugtuung. »Habe ich gleiche Krankheit. Vielleicht ein paar Pillen. Aber sonst
ist hoffnungslos.« Sie hockte sich zierlich auf die Stuhlkante. »Sitzen Sie.«
    William setzte sich. »Das ist viel
schlimmer als Kammerflimmern«, sagte er.
    »Ist viel, viel schlimmer als Flimmern
und Herzrasen zusammen«, sagte Rosie. »Zeigen Sie her.« Sie nahm den
Papierstreifen an sich, rückte ihre Brille auf die Nasenspitze und beugte sich
zurück, um besser sehen zu können. »Da, sehen Sie. Ist das Möglichkeit!«
    William beäugte den Papierstreifen, als
hätte er plötzlich eine ganz neue Bedeutung angenommen. »Ist es so ernst?«
    »Schlimm. Nicht so schlimm wie meine,
aber sehr ernst. Sehen Sie da? Die Wellen und die spitze Dinger?« Sie
schüttelte den Kopf, die Mundwinkel abschätzig verzogen. Abrupt gab sie ihm das
EKG wieder. »Werd ich Ihnen bringen einen Sherry.«
    »Nein, nein. Kommt nicht in Frage. Ich
nehme keine Spirituosen zu mir«, sagte er.
    »Das hier Sherry ungarisches. Ist ganz
was andres. Ich trinke immer selbst bei erste Zeichen von Anfall. Zack! Weg
ist. Einfach so. Nix mehr Wellen. Nix mehr spitze Dinger.«
    »Von Sherry hat der Arzt nichts
gesagt«, wandte William skeptisch ein.
    »Wollen Sie wissen, warum hat nicht
gesagt? Wie viel Sie haben bezahlt für Doktor-Besuch heute? Viel Geld, wette
ich. Sechzig, achtzig Dollar. Glauben Sie, er nicht scharf drauf, dass Sie
wieder kommen gelaufen? Sie haben so viel Geld? Ich sage, hören auf mich, dann
werden Sie sein wie neu in Handumdrehen. Probieren Sie. Wenn Sie nicht fühlen
besser, Sie nicht zahlen. Gebe ich Garantie. Ich spendiere erste Sherry. Auf
Kosten von Haus. Ganz umsonst.«
    Er schien mit sich zu ringen, bis Rosie
ihn mit stählernem Blick fixierte. Er zeigte mit Daumen und Zeigefinger etwa
zwei Zentimeter an. »Vielleicht ein ganz klein wenig.«
    »Schenke ich selbst ein«, sagte sie, schon
am Aufstehen.
    Ich hob die Hand. »Könnte ich bitte ein
Glas Weißwein haben? Geht auf Henrys Rechnung.«
    »Eine Runde Blutdruck-Medizin für
alle«, sagte er.
    Rosie ignorierte seinen Scherz-Versuch
und entschwand in Richtung Bar. Ich wagte es nicht, Henry anzusehen, weil ich
wusste, dass er grinsen würde. Rosie hatte es geschafft — William fraß ihr aus
der Hand. Während Henry mit Spott auf ihn reagierte und ich mit Höflichkeit,
behandelte Rosie den guten William mit absolutem Ernst. Ich hatte keine Ahnung,
worauf sie hinauswollte, aber jedenfalls schien William durch ihre Strategie
restlos entwaffnet.
    »Von Spirituosen hat der Arzt nichts
gesagt«, wiederholte er standhaft.
    »Es wird schon nichts schaden«,
steuerte ich bei, um den Ball im Spiel zu halten. Vielleicht wollte sie ihn ja
betrunken machen und seine Abwehr schwächen, um ihm dann die Wahrheit zu sagen —
dass er für einen Mann seines Alters gesund war wie ein Pferd.
    »Ich möchte nichts tun, was der
langfristigen Behandlung zuwiderläuft«, sagte er.
    »Ach, Hergott noch mal. Nun trink
schon«, knurrte Henry.
    Ich setzte unter dem Tisch meinen Fuß
auf Henrys Fuß und drückte

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