Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
jetzt das Interview auf, ich spreche den Stinkefinger an – und Berti weicht aus. Motto: »Wir müssen mit Stefan darüber reden, wir müssen Konsequenzen ziehen. Aber wir wissen noch nicht, welche.« Holla, konnte der Berti überzeugend schwindeln, dem hast du nichts angemerkt. Bei so viel schauspielerischem Talent war es richtig erstaunlich, dass es für ihn nur zu einer Gastrolle fünf Jahre später im Tatort reichte, als er den legendären Satz aufsagen durfte: »Gib dem Kaninchen eine Möhre extra, es hat uns das Leben gerettet.«
Mein Deal mit Niersbach und Vogts lief so: Zum Ausgleich für mein Dummstellen im Interview durfte ich meine Weltneuheit eine Stunde später als »Breaking News« exklusiv über den Sender jagen. Weil noch niemand ein Bild von Effes Stinkefinger hatte, hielt ich meinen eigenen Finger in die Kamera und führte plastisch vor, wie die Geste geht. Und nachdem mein BR -Schlauberger-Kollege Markus Othmer meinen Finger anstelle von Effes Finger in die »Bilder des Tages« schnitt, wurde die Nation an diesem Tag in der ARD gleich fünfmal mit Waldis Stinkefinger beglückt. Später hatten wir auch noch die Exklusivbilder, wie Effe im Resort ankam, in dem das unselige Trio Effenberg-Illgner-Häßler residierte – denn wir wussten ja als Einzige, dass Stefan seine Martina vorzeitig für den Heimflug abholen musste.
Das war ein weniger guter Tag für Berti, doch ein sehr guter für uns. Danke, Kalle! Danke, Effe!
Aber egal, ob mit oder ohne Stefan Effenberg – im Viertelfinale gegen Bulgarien war Schluss. Man wirft uns Journalisten ja gerne vor, dass wir alles schlechtschreiben und schlechtreden und immer nur auf den nächsten allertiefsten Tiefstpunkt warten (Hallo, Rudi, ich hoffe, du liest mit!) – doch am Ende des Tages, wie Karl-Heinz Rummenigge immer sagt, wollen wir ja auch über Erfolge berichten. Einerseits, weil wir schlussendlich den Fan in uns nicht verleugnen können. Und andererseits, weil ein Halbfinale Deutschland gegen Italien allemal bessere Verkaufszahlen und Ein schalt quoten bringt als Bulgarien gegen Sowjetkirgisistan oder die nördliche Südmongolei. Aber, wie gesagt, es hat nicht sol len sein. Die Vorlage kam quasi von Berti. Der Letschkow Jor dan hat zum 2 : 1 verwandelt – und Fußball-Deutschland war über denselben.
Danach kam der Auftrag von der obersten ARD -Heeresleitung: Einer muss mit der deutschen Mannschaft nach Hause fliegen. Plötzlich richteten sich alle Augen auf den Hartmann, der sich gerne noch das WM -Finale in Pasadena angeschaut hätte. Wieso ich? »Weil du bei der deutschen Mannschaft bist.« Und zwar als Embedded Reporter , bis zum bitteren Ende.
Immerhin spendierte mir die ARD einen First-Class-Flug – aber auch nur, weil kein anderer Platz mehr frei war. Man muss sagen: Jeder Gefangenentransport muss lustiger gewe sen sein als dieser Flug. Jedes Begräbnis ist von besserer Laune geprägt. Einige Spieler blieben vorsichtshalber gleich drüben in Amerika, unter anderem Lothar – bloß keine unnötige Kon frontation mit der deutschen Presse riskieren.
Der Rest, darunter der Ersatztorwart Oliver Kahn, damals noch in der Vor-Titan-Phase und Nummer drei hinter Bodo Illgner und Andreas Köpke, flog nach Frankfurt. Mit mir. Und ich hatte die Aufgabe, nach der Landung am Flughafen in Frankfurt in der Früh um halb acht den dort wartenden Kollegen des Hessischen Rundfunks den einen oder anderen auskunftsfreudigen Fußballer zuzuführen. Was für ein großartiger Job – nach einem WM -Aus und einem Langstreckenflug sehnen sich Fußballspieler ja geradezu danach, endlich dem prachtvollen Ersten Deutschen Fernsehen ein Interview geben zu dürfen! Gibt ja überhaupt gar nix Schöneres, als dem Hessischen Rundfunk in so einer Situation sein Herz auszuschütten!
Ich saß also in der ersten Klasse, von Chicago nach Frankfurt, neben DFB -Chef Egidius Braun. Einmal bin ich nach hinten geschlappt, in die Business Class – ich sehe heute noch Matthias Sammer vor mir, wie begeistert er geschaut hat. Motto: Lieber Gott, erst Berti, dann die Bulgaren und jetzt auch noch der Hartmann – vielleicht wäre ein Flugzeugabsturz doch die bessere Alternative!
Die anderen sind sofort in Tiefschlaf verfallen, als sich mein First-Class-Vorhang bewegt hat – die hatten wohl alle eine heilige Angst, dass ich mit dem Mikro bewaffnet irgendwas von ihnen will. Dabei hatte ich überhaupt nicht die Absicht, irgendjemanden mit Fragen zu belästigen. Vorne, neben dem
Weitere Kostenlose Bücher