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Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)

Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)

Titel: Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Hartmann
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ein Problem an diesem gewitzten Plan: Berti, Freund alles prallen Lebens, aller Vergnügungen und Ausschweifungen, hatte sich nicht das Ende der Welt als Mannschaftsquartier ausgesucht. Weit gefehlt – er war noch einige Kilometer weiter gezogen. Und wir landeten hinter dem Ende der Welt. Angeblich lag das Mannschaftshotel ja in der Nähe von Manchester – aber das mit der Nähe war ein sehr relativer Begriff. Es lag eher in der näheren Ferne von Manchester.
    An die erste Fahrt nach Mottram Hall kann ich mich erinnern, als wäre es gestern gewesen: Wir fahren raus aus Man chester und fahren und fahren und fahren. Irgendwann sehen wir nur noch Schafe und Wiesen, gefolgt von Wiesen und Schafen. Und als es auch den Schafen zu einsam wird und außer Wiesen gar nichts mehr zu sehen ist, erreichen wir das Mannschaftshotel, ein uraltes Castle, weitläufig abgesperrt. Man muss sagen: Berti Vogts hatte in Sachen Einsamkeit und innerer Einkehr ganze Arbeit geleistet. Jedes Kloster war eine Partymeile im Vergleich.
    Geregnet hat es auch noch, die Sonne ist ja auch keine englische Erfindung. Es wurde nie richtig trocken, es wurde nie richtig hell. Grauenvoll. Und um mal etwas anderes zu sehen als die Gesichter der Kollegen, gab es exakt zwei Mög lichkeiten: Links waren die Schafe, rechts waren die Kühe. Wir hatten die freie Auswahl. Ansonsten gab es weit und breit kein Leben, nur Wiesen.
    Das war mein legendäres Mottram Hall, über das sich Harald Schmidt jeden Tag in seiner Sendung auf Sat. 1 kaputtlachte. Waldi bei der EM 1996 vor dem altenglischen Kamin, der näselnd »Mottram Hall« sagt – das wurde bei Harald zum Running Gag. Einmal wurde ich sogar telefonisch zugeschaltet. Immerhin: Harald war eine nette Abwechslung im Vergleich zu den Schafen und den Kühen und den Wiesen.
    Direkt neben dem herrlichen Herrschaftssitz war unser Stu dio aufgebaut, damit man mit dem Golfwagerl rüberfahren konnte. Mitten auf der Wiese. Es gab einen Toilettenwagen für uns, mit zwei Sitzklos und einer Pissrinne. Und wenn mittags die 250 Schreiberlinge in das aufgebaute Pressezelt des DFB kamen und sich danach bei uns auf dem Häusl erleichterten – oh yeah! Es lebe der glamouröse Journalistenberuf!
    Zusammengefasst: Es war beschissen.
    Wenn ich nachmittags aufs Klo wollte, gab es kein Papier mehr. Dann bin ich mit dem Auto in den nächsten Ort Maccles field gefahren und habe mir dort einen Donut gekauft, obwohl ich gar keinen essen wollte, um mir im Restaurant den Eintritt ins Klo zu erschleichen.
    Kaum zu glauben, doch es kam noch besser: Jede zweite Nacht war Feueralarm im Hotel, weil immer irgendwas geraucht hat. Nach fünf Tagen kannte ich den Flugplan aller Maschinen der British Airways und aller anderen Linien, die Manchester anflogen, auswendig, weil die Einflugschneise drei hundert Meter über meinem Bett verlief. Auto gefahren bin ich nur, wenn ich aufs Klo musste, weil ich eine Heidenangst vor dem Linksverkehr habe – und genau weiß, am nächsten Kreisverkehr könnte bei der ARD eine Planstelle frei werden, nämlich meine, wenn ich falschrum ums Eck fahre.
    Die Stimmung bei allen ARD -Kollegen war durchwachsen. Wir waren quasi gefangen in diesem elenden Mottram Hall. Die vom Zweiten sind in London und wir hier am Ende der Welt. Genauer gesagt: In einem Flüchtlingslager hinter dem Ende der Welt.
    Beim Italiener in Macclesfield, dem einzigen Restaurant weit und breit, versammelte sich alles, was Rang und Namen hatte. Da saßen der Franz, Eusébio und Konsorten. Kein Wun der, dass sich Eusébio so wohlfühlte. Denn beim dritten Besuch haben wir rausgekriegt, dass der Italiener gar kein Italiener war, sondern ein Portugiese, der aber aus Marketinggründen seine Nationalität gewechselt hatte.
    Und die Krönung des Ganzen: Irgendwann wollten wir zu einem Ausflug nach Manchester entfliehen. Doch dann ging dort eine IRA -Bombe hoch, da hat es eine ganze Fassade zerrissen. Also sind wir doch nicht nach Manchester gefahren. Immer noch lieber Bertis Ende der Welt als die Begegnung mit einer Bombe.
    In den USA , zwei Jahre vorher, war der Fußball schlecht und das Umfeld gut.
    Hier war der Fußball gut, aber sonst nichts.
    Ich biete ein Vereinigtes Königreich für Italia ’ 90 , wo alles gut war.

24
    ICH GRÄTSCHE REIN, WENN ES SICH ERGIBT
    Waldi und Harry
    Auch wenn ich die England- EM irgendwo hinter dem Ende der Welt verbrachte, etwas Gutes hatte sogar mein Aufenthalt in dem altehrwürdigen Fernsehdomizil: Es brachte mich

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