Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
Präsidenten, ging es mir nämlich, unter den gegebenen Umständen, relativ gut. Die Versorgungslage war sogar ganz wunderbar, ich habe alles in mich reingeschaufelt, was die Bordküche an Essen und Schampus zu bieten hatte. Die Lage war ruhig und relativ stabil – bis irgendwann die Oberstewardess zu mir kam und mir ins Ohr flüsterte: »Herr Hartmann, dort hinten sitzt ein Herr Sepp Maier, und er meinte, er hätte auch noch Durst. Aber ich darf dem nicht von mir aus sagen, dass er in die Erste vorkommen darf. Nur wenn Sie mich darum bitten, dass ich ihm ausrichte, dass er vorkommen soll, dann darf ich das.«
Also kam er, der Herr Sepp Maier. Die Katze von Anzing, auch schon leicht angegriffen, meldete sich bei mir in der First Class, als »Ehrensteward von der Condor«. Von da an stand ich mit dem Sepp hinter dem Cockpit, direkt an der Getränkequelle, und wir haben diese saudumme Weltmeisterschaft noch einmal nachgespielt. Und nachgespült. Am Ende war die Getränkequelle versiegt, und der Sepp und ich hatten eine Vollrakete.
In Frankfurt dann Umsteigen nach München, mit Bayern- Präse Fritz Scherer, mit dem Sepp und seinem Titanenfrisch ling, der im August beim FC Bayern anfangen sollte. Das Problem war bloß: Wie kommen der schwer angegriffene Anzinger und ich beim Aussteigen in Frankfurt diese elend steile Gangway runter? Draußen auf dem Rollfeld lauerten schon die Kameras, die Jäger und die Schützen – und vor allem meine reizenden Kollegen von der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundes republik Deutschland. Als wir an der Reihe waren, raunte mir der Ehrensteward von der Condor zu: »Waldi, ich glaub, jetzt musst mich halten. Leck mich am Arsch.«
Ich habe deutlich gespürt, der Sepp braucht jetzt meine Un terstützung, sonst kommt der diese Gangway niemals runter, die vor uns abgrundtief klaffte wie der Grand Canyon. Dabei war ich doch selber schwer anlehnungsbedürftig. Jedenfalls schafften es der Bundestorwarttrainer und der Bundestrainerinterviewer irgendwie gemeinsam diese furchterregende Treppe runter, zwei schwankende Gestalten auf vier wackligen Beinen, zwei gute Freunde, die in diesem Moment niemand trennen konnte. Außer dem Erreichen des seligen deutschen Erdbodens hat mich in diesem Moment überhaupt nichts mehr interessiert, keine Interviews, der Hessische Rund funk konnte mich gernhaben.
Welchem Spieler sollte ich denn jetzt sagen, geh da mal hin bittschön, da wartet ein Kollege vom HR, und der hat sich ein paar irrsinnig spannende Fragen für dich ausgedacht? Das ist toll, darfst du dir auf gar keinen Fall entgehen lassen! Keinem der WM -Viertelfinalausscheider konnte ich das antun. Jeder Spieler hätte zu mir gesagt: »Waldi, hast du einen an der Waffel?«
Wir also sofort rein in den Bus. Aber die Geschichte war noch längst nicht zu Ende. Es folgten ein Beinaheflugzeug absturz, der fast die Karriere von Oliver Kahn beim FC Bayern beendet hätte, bevor sie begann, und eine durchaus ungehaltene ARD . In der Schaltkonferenz der Sportchefs beschwerten sich danach alle über die mangelnde Unterstützung des Kollegen Hartmann, der – Skandal! – auch noch in der Ersten Klasse geflogen war. Ich zu den Kollegen: »Aber ich habe alles versucht.« Die Kollegen zu mir: »Waldi, wir haben filmisches Beweismaterial, aus dem klar hervorgeht, dass du alles versucht hast – um unfallfrei mit Sepp Maier die Gangway runterzukommen.« Dass ich Erste Klasse geflogen bin, war bei der üblichen ARD -Missgunst fast noch schlimmer als die entfallenen Interviews. Aber ich war ja froh, dass ich überhaupt noch lebte nach unserem Beinaheflugzeugabsturz.
Denn, zurück zum Thema, statt nach Pasadena zum WM -Finale hatten wir es bisher ja erst nach Frankfurt geschafft. Also rein in den Münchner Flieger – und wie es der liebe Gott so will, wer sitzt neben mir? Der junge Herr Kahn, der designierte Titan. Sepp landete zwei Reihen hinter mir – aber der weiß bis heute nichts mehr von diesem Flug, der hat geschlafen. Ich weiß das, denn sein Schnarchen war durch die ganze Maschine zu hören. Neben Kahn war’s nicht ganz so lustig wie im Flieger davor neben dem Tennisgott aus An zing. Denn der baldige Bayern-Torwart, Sepps künftiger Schutz befohlener, schwieg wie ein Mönch nach einem Gelübde. Wir flogen also vor uns hin, stumm, fertig mit der Welt, schwer angegriffen in jeder Beziehung.
Irgendwann sind wir ungefähr eineinhalb Stunden vor uns hingeflogen, das habe
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