Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
geschlossen. Und acht von zehn Ostdeutschen dachten, er sei einer von ihnen, dabei ist er aus Tempelhof. Irgendwann nach einem Kampf sind Ottke, der Sportmanager Werner Köster und ich mit dem Zug irgendwo im Osten unterwegs und kommen am Sonntagmorgen an einem gottverlassenen Bahnhof an, der ohne jeden Umbau zur Kulisse von Spiel mir das Lied vom Tod getaugt hätte. Wir drei rein in die Bahnhofskneipe, drin eine Handvoll Typen, die Leone ohne jedes Vorsprechen gleich mit verpflichtet hätte. Als sie uns sehen, sächselt der eine begeistert: »Mensch, unser Svenni!« Und der andere brummt hinterher, als er mich erkennt: »Und der Rubenbauer is ooch dabei!« Filmreif!
Später hatten wir zwei Jahre die Klitschkos in der ARD . Viva Las Vegas! Wir waren in Vegas, wir waren aber auch in Atlantic City, einer fast morbiden Stadt, vom alten Glamour keine Spur mehr. Und 2012 hat Hurrikan Sandy dem Kaff den letzten Rest gegeben. Mit den beiden Klitschkos habe ich mich richtig gut verstanden, und damals habe ich mitbekommen, wie hochprofessionell diese Truppe arbeitet. Vitali kam ja zu meinem sechzigsten Geburtstag eigens aus Los Angeles angereist, auf der Feier hat er sich wunderbar mit Henry unterhalten. Ich fand es sehr beeindruckend, wie sich Vitali bei Henry bedankte: »Wir wissen genau, wenn es dich nicht gegeben hätte, würde es uns in Deutschland auch nicht geben.« Richtig, Vitali, genauso war es. Erst Henry Maske hat gezeigt, dass im totgesagten Boxsport in Deutschland noch jede Menge Leben steckt.
Den ersten Kampf in Las Vegas werde ich nie vergessen, Ende 2004 , Vitali gegen den Briten Danny Williams. Mein Gott, als Bub war Las Vegas das Allergrößte für mich, ein unerreichbarer, von Elvis besungener Traum. Und dann steh ich dort als Moderator im Ring, bei einer Schwergewichtsweltmeisterschaft im Mandala Bay Hotel. Viva Las Vegas! Also habe ich mir ein schickes Kaschmirjackett mit flotter Krawatte und so eine amerikanische Pepitahose gekauft, in diesem piekfeinen Klamottenladen im Mandala Bay. Auf die Rechnung habe ich erst gar nicht geschaut – ey, wir sind in Las Vegas, da muss der Geiz zu Hause bleiben! Und an der Kasse dann der Megaschreck für Las-Vegas-Waldi: 2800 Dollar für die drei Teile! Ich hab mich aber nicht getraut zu sagen: Thank you, aber das nehme ich nicht. Also habe ich die Klamotten gekauft und Vitali eingeschärft: »So teuer war ich noch nie in meinem Leben angezogen, nicht einmal bei meiner Hochzeit. Also streng dich bitte an und mach mir nicht die Feier kaputt!«
Nach dem Kampf musste Vitali mit einer Handverletzung ins Krankenhaus. Wir standen auf unserer Interviewposition, irgendwann nachts um halb zwei, und von den Klitschkos keine Spur. Normalerweise kannst du dann heimgehen als Moderator, denn da kommt keiner mehr. Aber bei den Klitschkos ist das anders. Um halb drei standen sie auf der Matte, weil sie das vereinbarte Interview nicht ausfallen lassen wollten. So ticken die beiden: unheimlich professionell, unheimlich liebenswert, charmant und anständig, zwei absolute Vorbilder.
Wobei Vitali der herzlichere ist und Wladimir der noch professionellere Bruder. Ich kann mich an eine Silvesterfeier beim Stanglwirt in Kitzbühel erinnern, bei der ich Vitali die alte bayerische Politweisheit nahebrachte: »Die Steigerung von Feind ist: Feind, Todfeind, Parteifreund.« Vitali hat sich ausgeschüttet vor Lachen und meinte: »Das werde ich in die Ukraine mitnehmen. Dieser Satz trifft dort mindestens genauso zu wie bei euch in Bayern.« Dass Vitali sich jetzt in der Politik zu Hause in der Ukraine engagiert, ist keine Frage von Macht oder Eitelkeit – er möchte tatsächlich sein Volk, sein Heimatland voranbringen. Politiker wie ihn könnten wir auch in Deutschland gut brauchen. Trotz der mangelnden Souveränität und des übersteigerten Selbstbewusstseins des Klitschko-Managements, über das ich mich zuletzt sehr geärgert habe. Und nicht nur ich allein.
Aber zurück zu meinen Boxjahren. 2004 hörte Sven Ottke als ungeschlagener Weltmeister auf, das muss man erst einmal hinbekommen. Hut ab! Danach kam er als Experte zu mir, aber recht bald musste ich ihn erden: »Svenni, Experte sein bedeutet nicht nur, dass du Samstagnachmittag mit dem Golfsack auf der Matte stehst und mich fragst, wer heute Abend boxt. Da gehört ein bisserl mehr dazu.« Ich kann mich erinnern, als der Sauerland-Stall Alexander Powetkin verpflichtet hat, den Olympiasieger und Weltmeister im Schwer gewicht, einen echten
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