Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
beim Bayerischen Rundfunk. Zu Sammy hatte ich gleich von Anfang an einen richtig guten Draht trotz gewisser weltanschaulicher Differenzen. Er eher auf dem linken Flügel, ich eher auf dem rechten Flügel. Er Malt Whisky ohne Eis, bevorzugt in der Darreichungsform eines Schoppens, ich Wodka. Sammy – heute kann man das sagen, er ist leider 1986 viel zu früh verstorben (wenn diese Floskel für jemanden gilt, dann für ihn) – war hinter jedem Rock her. In seinen letzten Jahren allerdings eher aus der theoretischen Perspektive. Und irgendwann beim Schoppentrinken sagte er in seiner schnoddrigen Art zu mir: »Willste mal mitkicken?« Ein Ritterschlag! Natürlich wollte ich mitkicken! Sportlich musste ich mich dafür nicht qualifizieren – es hat gereicht, dass der Ball nicht mit dem Weinen anfing, wenn ich mich ihm näherte.
Also: Erstes Spiel auf der Bezirkssportanlage Neukeferloh, in der Mitte der Kabine steht der Koffer mit den Trikots. Paul Breitner auch mit dabei, in der Blüte seiner Jahre und garantiert noch fit genug für die Bundesliga, dazu die alten Löwen Erich Beer, Thommy Zander und Hans Haunstein. Es standen immer einige Topkicker in der Mannschaft, die durch uns restliche Nasen aber entscheidend geschwächt wurden. Meine wichtigste Frage an den Chef beim Suchen nach dem richtigen Dress mit der richtigen Nummer: »Sammy, wo spiele ich denn überhaupt?« Er zurück, wie aus der Pistole geschossen: »Natürlich Rechtsaußen, du schwarze Sau, wo du hinjehörst!« Linksaußen, wer sonst, war Dieter Hildebrandt. Unter hinter mir auf rechts, der Jahrhundertkoch Eckart Wit zigmann. Zu ihm habe ich gesagt: »Ecke, ich weiß Bescheid, Österreich! Stehgeiger!«
Das hat richtig Spaß gemacht mit den Jungs. Und da habe ich live mitbekommen, was es bedeutet, wenn ein Führungsspieler wie Paul Breitner dich anschaut. Paul hat uns Einbeinige genauso angeschaut wie früher seinen Katsche oder seinen Dürnberger. Da stehst du stramm, meine Herren, wenn ein Breitner, der zwei Jahre davor noch im WM -Endspiel gestanden hat, die gesamte Kompanie zum Ärmelhochkrempeln vergattert! Schneller und höher hast du die Ärmel nie mehr in deinem ganzen Leben gekrempelt. Es sind 50 Grad in der Sonne, wir führen 5 : 0 gegen den TSV Wasweißich, es sind noch zehn Minuten zu spielen, ich bin fertig wie vorher und nachher nicht mehr in meinem Leben. Ich stehe in der Nähe des eigenen Sechzehners, der Torwart wirft den Ball zu Paul, Paul schaut mich an und ruft mir zu: »Waldi, jetzt gemma noch mal.«
Normalerweise müsstest du in so einer Situation sagen: »Ja, hast du denn den Hintern offen, Weltmeister? Bist du gegen einen Schrank gelaufen?« Aber, hey, das war Paul Breitner! Und der Paul hat diesen Blick! Der schaut dich so überzeugend an, dass du weißt: Es hilft nix: Gemma noch mal, Waldi! Uli Hoeneß hat schon recht: Wenn der FC Bayern 2012 bei der Championsleague einen Wadlbeißer wie Jens Jeremies gehabt hätte oder einen Gemma-noch-mal-Fußballer wie Paul, wäre das »Finale dahoam« nicht zum bajuwari schen Trauer fall geworden. Mein Pech war nur: Zum Passspielen, zum Rumdandeln bis zum Strafraum des TSV Wasweißich, hat er mich brauchen können, der Paul. Aber als ich dann frei im Strafraum gestanden bin, im Schweiße meines Angesichts, völlig fertig, habe ich den Ball nicht mehr von ihm be kommen. »Des muaßt lernen, Waldi«, hat Breitner gesagt, »des Tor schiaßt a anderer.« Danke schön, Weltmeister!
Aber mein Spezi, der Weltmeister, ist manchmal eh ein spezieller Fall. Ich erinnere mich an eine Ausgabe von Waldis Club bei der Europameisterschaft 2008 in Wien – bei dem Turnier, bei dem wir teilweise 36 Prozent Marktanteil und über fünf Millionen Zuschauer hatten. Irgendwer hat ausgerechnet, dass wir allein in Bayern auf einen Marktanteil von 49 , 1 Prozent nach dem Spiel gegen Portugal kamen, beinahe die absolute Mehrheit und höher als beim Papstbesuch daheim in Bayern. In einer dieser Ausgaben lieferte Veronica Ferres in anderthalb Minuten eine wirklich bril lante Analyse des vorangegangenen Spiels. Was sie sagte, hatte Hand und Fuß.
Bloß dem Paul hat es nicht gefallen. Er ist nach der Sendung sofort verschwunden, und irgendwann nachts an der Bar klingelte mein Handy. Paul. Sauer. Stinksauer. »Hab weg müssen nach München, hat pressiert. Und eines sag ich dir gleich, Waldi: Wenn jetzt schon blonde Frauen die Analyse machen, dann brauchst ja mich nicht mehr.« Wenn Paul auf Crashkurs geht, dann
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