Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
Frühstücksfernsehen, kein Usedom und schon gar keinen Waldi, denn der war damals noch Wirt in Augsburg. Weltmeister sind wir trotzdem geworden, und alle waren happy. Außer – auch die gab es damals schon – den Fernsehkritikern, die nach dem Kochkurs auf die ARD schimpften: »Mahlzeit – uns stinkt’s gewaltig!«
Zwölf Jahre später, als sich ein gewisser Waldemar Hartmann langsam, aber mit Nachdruck ins Programm drängelte, war alles bereits ganz anders. Bei der WM 1986 in Mexiko wurde das Frühstücks- WM -Fernsehen erfunden. Hans-Joa chim Rauschenbach und Uwe Seeler bildeten eine eher schlappe Vor-Vorversion von Delling/Netzer. Und das ZDF trieb in seiner Politikredaktion endlich eine neue Kommentatorenhoffnung namens Marcel Reif auf. Aber ich greife vor. Der erste Großformatsexperte, der wirklich ernst genommen wurde, war 1986 Otto Rehhagel im ZDF , der zu dieser Zeit langsam die Hochkultur entdeckte und über den Max Merkel sagte: »Vor zwei Jahren hat er Omelette nicht von Hamlet unterschei den können, und jetzt zitiert er Goethe.«
Ich mochte Otto immer, weil er eine klare Fußballersprache sprach, aber auch über den Tellerrand hinausschauen konnte. Sein Nachteil: Er liebte alle Fußballer, außer wenn sie bei der SPD waren, und er verteidigte alles und jeden. Kritisch war er nicht, der Otto. Trotzdem fanden ihn alle supertoll, vor allem im Duett mit Silberlocke Dieter Kürten, der damals als eine Art George Clooney des Fußballs galt.
Meine erste WM war »Italia Novanta«. Otto galt damals, 1990 , immer noch als der große Expertenguru, und zu uns ins Erste kam Karl-Heinz Rummenigge. In unserem Hotel in Rom und weit darüber hinaus umschwirrte alles Kalle. »Il Biondo« war in Italien nach seiner Zeit bei Inter immer noch der große Fußballgott. Und Otto lief plötzlich mit langem Gesicht rum, sah in seinem Trainingsanzug gegen den eleganten neuen Überexperten Rummenigge reichlich altmodisch aus. Großer Unterschied: Otto stand immer neben Dieter vor der Kamera, Kalle saß als Kokommentator neben Heribert Faßbender und Gerd Rubenbauer hinter dem Mikrofon. Kalle wollte nicht vor die Kamera, Kalle wollte neben dem Reporter sitzen – was bei Fassi und Rubi sehr unterschiedliche Reaktionen hervorrief.
Faßbender fand das toll, weil endlich einer neben ihm gesessen ist, der wirklich etwas von Fußball versteht. Denn der Sport, der da unten ausgeübt wurde, war nicht unbedingt seine Kernkompetenz. Und Rubenbauer fand es grauenvoll, dass neben ihm einer saß, der etwas von Fußball versteht – weil er überzeugt war, dass kein Mensch mehr von Fußball versteht als er selber. Für Kalle war es übrigens ebenfalls furchtbar, neben Rubi zu sitzen. Er meinte zu mir, dass er sich neben Fassi eher wohlfühle, denn dem könne er Fußball erklären. Aber wenn da unten etwas Taktisches passiert, das müsse er dem Rubi nicht erklären, denn das sehe der auch selber.
Bis 1994 war Kalle bei uns der große Mann, Otto hatte irgendwann genug, und das Zweite heuerte Kalli Feldkamp als Gegen-Rummenigge an. Feldkamp, der damals Kaiserslautern trainierte, hatte sich bei der WM in den USA von Anfang an festgelegt: Berti ist eine Lusche, und die Truppe ist keine Mannschaft. Womit er recht hatte – denn vom Potenzial her war dieser Kader, die 90 er plus Sammer plus Effenberg, noch einmal eine Klasse besser besetzt als vier Jahr davor in Italien. Aber leider hieß der Trainer nicht mehr Franz Beckenbauer, sondern Berti Vogts, und das machte den Unterschied aus.
Feldkamp hat in den USA von Anfang an gegen Berti genagelt und traf damit natürlich haargenau den Geschmack der Fans und der Presse daheim. Als die Bild ein Rücktrittsschreiben für Berti druckte, das der Kleine bloß noch unterschreiben sollte, gab es in Deutschland nur einen Kandidaten für die Nachfolge: King Kalli! 70 Prozent der Bundesbürger wollten Feldkamp als Nachfolger haben, weil er Klartext geredet und sich an seiner Kritik alles bestätigt hatte. Genau wie zuvor bei Otto und Kalle hatte sich mal wieder der öffentliche Wind gedreht. Plötzlich galt Rummenigge als der Mann von gestern und Feldkamp als der hochmoderne Experte. Außerdem war bei uns im Ersten 1994 der Jahrmarkt der Eitelkeiten eröffnet. Gerd Rubenbauer und Heribert Faßbender haben sich gegenseitig im Stadion anmode riert, weil keiner darauf verzichten wollte, sein Gesicht in die Kamera zu halten. Und sie haben erstmals eine Kamera an den Reporterplatz bekommen, damit alle
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