Drop City
Grinsen, das ihm von neuem bewußt werden ließ, was er längst geahnt hatte – daß er sein eigenes Leben nicht mehr bestimmte, ja es nie wieder bestimmen würde. »Haargenau«, sagte sie und sah zu, wie eine Wolke in der Form eines Eherings – vielleicht auch einer Henkersschlinge – am Himmel vorbeizog. »Wir fahren in die Stadt wegen Marshmallows.« Dann verflog das Grinsen. »Und wegen der Hunde. Meinst du nicht, es wird langsam Zeit?«
Um sechs Uhr am nächsten Morgen brachen sie nach Boynton auf, gegen halb neun zogen sie das Kanu an Land und gingen Hand in Hand den Hang hinauf zur Baracke. Es war ein seltsames Gefühl für alle beide – ein sentimentales, beinahe nostalgisches Gefühl. Der Bodenbewuchs war in einem breiten Oval niedergetrampelt, wo alle getanzt hatten, und im dichten Eisenhut an den Rändern ließ die Sonne hie und da auch noch eine Flasche oder eine abgerissene Paillette aufblitzen, Artefakte des Rituals, das sie hier zwei Wochen zuvor abgehalten hatten. Über die verstreuten Reiskörner hatten sich die Vögel hergemacht, bis ihnen die Bäuche platzten, und man sah die halbmondförmige Grube, wo der Grill gestanden hatte. Sie war mit Asche gefüllt, aus der einzelne verkohlte Knochen herausragten wie die Stämme von winzigen Bäumen nach einem Waldbrand, und durch die Asche verliefen kreuz und quer die Spuren von Wieseln und Erdhörnchen. Alles übrige war verschwunden wie ein Zigeunerzirkus, wie ein Zaubertrick. »Das war vielleicht eine irre Party«, sagte Sess, »wetten, daß die keiner so schnell vergißt?«
»Genau«, sagte sie und sah ihn von der Seite an. »Bis zur nächsten.«
Sie lungerten noch ein paar Minuten in der Baracke herum, legten im Geist Einkaufslisten an und stapelten ein paar Dinge – vor allem Werkzeug –, die sie auf der Rückfahrt ins Blockhaus mitnehmen wollten, und dann klappten sie die Fliegentür von Richard Schraders Haus auf und riefen im Chor seinen Namen, bis feststand, daß er entweder mausetot oder unterwegs war. Sein Pickup stand vor dem Haus – der Wagen war unerläßlich für die geplante Expedition, denn Pamelas Gremlin gehörte inzwischen dem Frittenkoch vom Northern-Lights-Imbiß in der C Street im Zentrum von Anchorage, und Sess besaß seit drei Jahren kein Auto mehr –, daher vermuteten sie, daß er nicht weit sein konnte. Außerdem fanden sie, daß sie sich nach der bierlosen Flußfahrt im Nieselregen einen Drink verdient hatten, und Pamela wollte ihre Mutter anrufen, um sich zu überzeugen, daß sie gut nach Hause gekommen war, und um ihr zu versichern, daß das komplizierte Geschäft dieser Liebe zu ihrer Zufriedenheit verlaufen sei. Sess war einverstanden. Sess war mit allem einverstanden. Der Regen war gut für den Garten, sie hatten zwei Wochen Arbeit hinter sich, und so hatte wohl noch keiner die Flitterwochen verbracht, im Three Pup und im Nougat würde er ein paar Leute treffen, mit denen er im Nachglanz der Hochzeitsfeier gern wieder ein wenig geschwätzt hätte, und obwohl er niemandem ein Sterbenswörtchen davon flüstern würde, mußte er sich Hunde zulegen, und dafür war Fairbanks genau der richtige Ort, wo niemand dumme Fragen stellte.
Er brachte Pamela bis zur Gemischtwarenhandlung, wo Wetzel Setzler sich mit seinem Amateurfunkgerät ins Netz der guten alten Bell Telephone Company einwählen konnte, denn deren landesweit verlegte Leitungen reichten nicht bis zu jenen Deserteuren, Anarchisten, Außenseitern und Langhaarigen, die freiwillig an diesem hinterletzten Ende der USA lebten. Dann schlenderte er hinüber zum Nougat, nur um kurz den Kopf zur Tür hineinzustecken. Er rechnete nicht damit, zufällig auf Joe Bosky zu treffen, denn dieser hinterlistige Feigling würde sich nach dem, was er getan hatte, bestimmt eine Zeitlang nicht blicken lassen, aber Sess hatte nichts dagegen, Richard aufzustöbern und mal zu testen, wie gut seine Chancen standen, den Pickup auszuleihen.
Das Nougat ähnelte in etwa dem Three Pup, nur daß es halb so groß war, keine Küche besaß und sein Angebot auf Alk und Kartoffelchips aus der Riesentüte beschränkte, dazu gab es für den Connaisseur Salznüsse in Zellophantüten und labbrige Brezeln. Zwei ausgestopfte Karibuschädel hielten Wache über der Bar, und oberhalb des Holzofens prangte ein Elch mit rußgeschwärzter Wamme. Clarence Ford, der Besitzer des Etablissements, hatte es eigentlich »The Nugget« nennen wollen, aber Rechtschreibung war nicht seine stärkste Seite.
Als Sess in
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