Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
das vormittägliche Zwielicht der Kneipe trat, war niemand dort außer Iron Steve und einem Indianer, den Sess nicht erkannte, beide waren an der Theke eingeschlafen. Wetzel Setzlers jüngster Sohn Solly saß im hinteren Zimmer, klirrte mit Flaschen in offenen Pappschachteln und notierte sich etwas auf einem Stenoblock. Sechshundert Milliarden Fliegen – mindestens – taumelten gegen die Fensterscheiben und veranstalteten einen kollektiven Lärm wie ein Cello aus mittlerer Distanz. Iron Steves Atem ging langsam und rasselnd, jeder zweite Zug stolperte über die Schwelle eines Schnarchers. Der Raum roch nach ausgedrückten Zigaretten, und es war ein trauriger Geruch, eine Erinnerung an all das Auf und Ab, das dieser Raum schon gesehen hatte, Auseinandersetzungen, dumme Sprüche, gewonnene und verlorene Frauen. Um Viertel nach neun am Morgen war es, für einen Mann ohne Hunde mit den Lungen voller süßer Luft vom Fluß, beinahe deprimierend.
    »Hey, Solly«, raunte Sess in einem übertriebenen Flüstern, um niemanden aufzuwecken, »kriegt man bei dir hier ’n Bier? Oder ist das der Platz, wohin die Leute zum Verdursten kommen?«
    Solly Setzler war vierundzwanzig und hatte von seinem Vater die Sprungschanzenschultern, die milchigen Augen und farblosen Brauen geerbt, und niemand fand es komisch, daß er für die Konkurrenz arbeitete, weil es ohnehin an ein Wunder grenzte, daß jemand zu dieser Jahreszeit hinter einem Kneipentresen stehen wollte. Sein Haar war auch eine Art Wunder, es hatte genau die Farbe von Glasfaserdämmplatten, und seinen Augen fehlte ein menschlicher Glanz. Er hatte seine Schulbildung zu Hause erhalten, und er war der ahnungsloseste Dumpfschädel, den Sess je getroffen hatte, zumal er noch so jung war. Jetzt blickte er auf und reckte den Hals wie ein Vogel im Nest, der nach dem Futter im elterlichen Schnabel giert. »Sess«, sagte er und wirkte in der Kneipe, in der er schon seit drei Jahren arbeitete, völlig verloren, als wäre er gerade aus einem Traum erwacht, »ich dachte, du wärst den Fluß raufgefahren.«
    Er wußte nicht, wo Richard Schrader war, aber er holte eine Dose Oly hervor, die er ihm aufriß, ohne daß ihm eingefallen wäre, dem Frischvermählten zur Feier einen Schnaps auszugeben, was Sess aber sowieso abgelehnt hätte, denn es war noch früh am Tag und er hatte eine Autofahrt vor sich und die Verpflichtungen eines verheirateten Mannes, der nicht einfach in die Stadt kommen und auf eine Sauftour gehen konnte wie irgendein Typ mit eingewachsenen Zehennägeln und Haaren in den Ohren und Nasenlöchern, der vor lauter Buschkoller auf eine Unterhaltung aus war.
    Im Three Pup traf er Skid Denton, der offenbar seinen Stammgastplatz im Nougat aufgegeben hatte, jedenfalls seitdem Lynette in der Stadt war. Skid nahm gerade ein Frühstück aus Spiegelei und Steak mit geschnittener Zwiebel ein, feste eingetunkt in Tabascosauce, dazu Pommes frites, Toast und ein großes Bier mit einem Schuß Tomatensaft drin – »Bierblut«, nannte er es, wenn sich mal jemand die Mühe machte, ihn danach zu fragen, »so nehm ich mein Vitamin C zu mir«. Er sah lange genug von seinem Teller auf, um Sess zu informieren, daß Richard Schrader mit dem Kanu den Fluß runter zu seiner Fischerhütte gefahren war, weil er damit rechnete, daß jeden Tag die Königslachse zu ziehen begannen. Lynette, die sich über den Tresen lümmelte, so daß ihr das Halfter die magere Hüfte hinaufrutschte, bestätigte das. »Irgendein Tourist«, sagte sie, als würde sie schon seit fünfzig Jahren in Alaska wohnen, »hat ein fünfzehn Kilo schweres Vieh geangelt, gleich hier vorn bei der Sandbank, ist keine zwei Tage her. Oder sind’s schon drei?«
    Sess nahm noch ein Oly, schon um das wettzumachen, das er im Nougat gekippt hatte – die Gastronomie schön gleichmäßig bedenken, das war sein Motto –, und auch hier bot ihm niemand einen Whiskey zum Feiern an, aber das war in Ordnung, es paßte zu seinen Vorsätzen, deshalb ging er zurück in den Ort, um Pamela beim Gemischtwarenladen abzufangen. Er wollte ihr die schlechte Nachricht überbringen – kein Wagen zu kriegen – und sie einkaufen lassen, was sie wollte, denn wenn sie nicht nach Fairbanks fuhren, wo es freien Wettbewerb gab, mußten sie Wetzel Setzlers Wucherpreise zahlen, einstweilen jedenfalls. Im Winter würden sie natürlich gar keine Wahl haben, aber ohne Hunde würden sie ohnehin nicht mit dem Schlitten auf dem Fluß nach Boynton kommen, um hin und wieder

Weitere Kostenlose Bücher