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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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aber weder Wetzel Setzler noch ein Ladenjunge, falls diese Spezies hier oben existierte, tauchte aus dem Hinterzimmer auf, um sie zu bedienen. Es war unheimlich still, als existierte dieser Ort außerhalb der Zeit; Licht drang nur durch die Fenster herein. Ihr kam der Gedanke, sie könnte den Laden glatt ausrauben, sich nehmen, was sie wollte, was sie nur tragen konnte, und gegenüber einen Konkurrenzladen eröffnen, und sie würden es gar nicht merken. »Hallo?« rief sie. »Irgend jemand da?«
    Da sah sie ins Maul einer Bärenfalle, die an einer Kette von der Decke hing, ein riesengroßer, matt glitzernder Keil aus schwarzblauem Stahl. Das war eine Falle, die es ernst meinte, tödlich und unnachgiebig, und sie stellte sich vor, wie das Ding dicht neben einem Kadaver oder auf einem Wildpfad kunstvoll getarnt lag, und der kurze Moment, in dem sie in die Zähne der Falle blickte, ließ sie deren Grausamkeit fühlen. War es vielleicht das, was Sess ihr neulich erzählen wollte, als sie sich betrunken hatten? Es war eine Falle. Ein notwendiges Beiwerk des Lebens in der Wildnis. Man fing Tiere damit, und dann tötete man sie, häutete sie und verfütterte sie an die Hunde, und mit dem Geld für die Felle konnte man Zucker, Kaffee, Patronen und weitere Fallen kaufen. Darauf ließ sie sich ein, und es war ja auch eine persönliche Entscheidung, war Vergnügen und Neigung, außerdem ging es ums Überleben – all diese getöteten Tiere ernährten sie mit ihrem Leben, als wäre sie eine Göttin mit hohem Anspruch auf Opfer.
    Gleich neben der Falle prangte, angenagelt an einen lackierten Querbalken, eine altmodische Fahrradhupe mit matt gewordenem Messingschaft und schwarzem Gummibalg. Ehe sie recht nachdachte, drückte sie die Hupe, und ein leises Tröten gab ihre Anwesenheit nochmals bekannt. »Hallo?« rief sie erneut.
    Keine Antwort.
    Aber vielleicht war der Laden gar nicht offiziell geöffnet, das könnte der Grund sein. Oder sie waren hier alle so vertrauensselig, daß sie die Türen unverschlossen ließen, und die Leute konnten reinkommen, sich ihre Einkäufe aussuchen und auf Ehre und Gewissen das Geld dalassen. Weiter hinten sah sie eine Tür mit der wiederum handgeschriebenen Aufschrift Büro , und sie ging hin und drückte die Klinke. Der Form halber klopfte sie mit den Fingerknöcheln der linken Hand an, während sie die Tür aufstieß, und schon stand sie auf der Schwelle einer fensterlosen Kammer mit einem Schreibtisch, einem Aktenschrank und diversen Kartons voller Alkohol, vom Boden bis zur Decke an der Wand gestapelt. Der Geruch nach verbranntem Wachs oder Lampenöl, irgend etwas Chemisches jedenfalls, vermischte sich mit dem Duft nach Fichtennadelessenz und dem Schimmelgestank, der damit wohl bekämpft werden sollte.
    Sie blieb in der Tür stehen, die Dielen knarrten unter ihren Füßen, und sie war plötzlich verlegen. Sie hatte im Unterschlupf eines Mannes nichts zu suchen, den sie kaum kannte, seine Socken und ein vergilbtes T-Shirt hingen über einer Stuhllehne zum Trocknen, als erledigte er seine Wäsche Stück für Stück, mehrere abgekaute Tabakspfeifen lagen aufgereiht auf dem Aktenschrank, neben einem gerahmten Foto von Wetzel Setzler in jüngeren Jahren und einer Frau im Sommerkleid, die doppelt so breit war wie er, beide blinzelten in die Sonne, als wären sie soeben einer Höhle entstiegen. Sie sah ein Paar Stiefel in der Ecke, eine Dose mit Pfeifenreinigern, eine auseinandergenommene Angelrolle, deren Teile auf einer Zeitung ausgelegt waren. Dann bemerkte sie das Funkgerät, es stand mitten auf dem Schreibtisch, mit Kopfhörern und angeschlossenem Mikro, und das beeindruckte sie, ähnlich wie die Bärenfalle – das hier war eine andere Welt, ein anderes Leben, und sie würde Zeit zum Eingewöhnen brauchen. Natürlich würde sie das. Und ihre Mutter konnte warten, dachte sie, außerdem wäre es von einem richtigen Telefon in Fairbanks wahrscheinlich sowieso billiger – falls sie Richard Schrader auftreiben konnten und falls sein Wagen zu haben war –, deshalb ging sie rückwärts aus dem Büro heraus und schloß leise die Tür.
    Sie rief noch einmal: »Hallo? Irgend jemand hier?«, dann wanderte sie durch die Gänge des Ladens, verloren zwischen den verzinkten Eimern und Benzinkanistern, Senkkopfschrauben, Spitzhacken, Köderfliegen und in Zellophan verpackten, sechs Tage alten Broten. Eine Sekunde lang fühlte sie einen Stich. Sie wollte sehr wohl mit ihrer Mutter sprechen – es war

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