Drop City
– schlimmer noch: es machte ihr angst. Er war ihr Fels in der Brandung, der Leitwolf, den sie aus einem Sammelsurium nicht so bedeutender Männchen erwählt hatte, der Mann, auf den sie ihr Leben lang gewartet hatte, um sich von ihm in die Wildnis führen zu lassen, und wenn er sich jetzt geschlagen gab, dann müßte sie auch aufgeben. Gerade trat die Kellnerin an ihren Tisch, und sie ahnte schon, daß er die nächste Runde Bier bestellen wollte, deshalb fragte sie: »Sag mal, und was ist mit dem Tierheim?«
»Ich hab keine Ahnung, wo das ist«, sagte er und erfand damit neue Hürden.
»Hey, meint ihr etwa das Tierheim für Hunde ?« warf die Kellnerin ein und schüttelte die Flaschen auf ihrem Tisch kurz, um zu sehen, ob noch was drin war. »Wo das ist, kann ich euch zeigen, denn mein Freund und ich haben, wir haben dort einen echt süßen kleinen Pudel gefunden – Mizzi, so nennen wir ihn. Hey, wollt ihr mal ein Foto sehen?«
Das Tierheim lag hinter einer Art Fabrik oder Lagerhaus auf einem Grundstück aus festgestampfter Erde ohne irgendwelche Bäume oder auch nur Büsche, es war ein niedriges Fertighaus, vor dem ein klappriger Lieferwagen in schiefem Winkel geparkt stand, als wäre der Fahrer herausgesprungen und davongerannt. Keine fünfzig Meter hinter dem Grundstück verliefen Eisenbahngleise, auf denen sich Güterwaggons bis zum Horizont aneinanderreihten wie Dominosteine. Sess wollte nicht einmal aussteigen, aber sie brachte ihn irgendwie dazu, und so standen sie auf dem Vorplatz, der Kies knirschte unter ihren Füßen, und sie dachte bei sich, daß dieser Ort so weit entfernt vom Thirtymile River war, wie es nur ging, ohne daß man Alaska verließ. Der Gestank nach Ammoniak schlug ihnen entgegen, herangetragen von einem leichten Wind mit einer Handvoll Moskitos darin. Man hörte ein schwaches, verängstigtes Kläffen und Winseln, das von überall und nirgendwo zu kommen schien. »Was können wir schon verlieren?« fragte sie besänftigend, als er sie verdrießlich über das Dach des lächerlichen Sportwagens anblickte.
Im Innern des Hauses war der Geruch konzentrierter, und sie dachte an den einzigen Großstadtzoo, den sie kannte, den von San Francisco, wo verlotterte Tiere in Betonwannen gelegen hatten, und deren komprimierter Gestank – ein so intensiver Gestank, daß sie richtige Panik bekommen hatte – war ihre einzige bleibende Erinnerung an diesen Zoo, ja im Grunde an die ganze Stadt. Der Boden hier war ebenfalls aus Beton, die Beleuchtung unzureichend. Eine stämmige Frau mit hochgestecktem Haar und tränenförmigen Brillengläsern grinste sie hinter einem Sperrholztisch mit Resopalplatte an. »Kommen Sie für eine Adoption?« fragte sie durch das Getöse des Hundegebells hindurch, das noch ein bißchen zugelegt hatte, als sie hereingekommen waren. »Oder denken Sie erst mal nur drüber nach?«
Dann gingen sie einen Betonkorridor entlang, zwischen langen Reihen von Drahtkäfigen, in denen sich Hunde jeder Größe und Beschreibung gegen die Gitter warfen, jaulten und japsten, ihre Pfoten arbeiteten wie Windmühlen, in den Augen blitzten Hoffnung und heller Eifer. Bei dem einen oder anderen blieb die Frau stehen und machte gurrende Laute, worauf die Tiere ihre glänzenden Schnauzen durch den Draht steckten, um ihren Fingern und dem Handrücken die Ehre zu erweisen. Es gab ein fürchterliches Kratzen der Klauen, wenn sie auf dem nassen Beton Halt suchten. Einer der Hunde, eine Beagle-Mischung mit Hängeohren und tiefen, wäßrigen Augen, kletterte über die Rücken dreier anderer, um die Schnauze durch eine Lücke zu schieben, wo die Käfigtür ein Stück aus der Verankerung gerutscht war, und Pamela schob die Hand in den Spalt an der Wand, um die Ergebenheit des Hundes zu spüren, dessen rosa Zunge jedes Molekül von Geschmack von ihrer Haut ableckte. Sie wollte sie gleich alle adoptieren.
»Zum Beispiel Buster«, sagte die Frau und drückte die Hand gegen das Gitter, hinter dem ein Retriever mit hellem Gesicht und sichtlichem Hüftschaden kauerte, »Buster ist am knuddligsten von allen hier. Der wäre ein prima Hund fürs Haus. Und er liebt Kinder. Haben Sie Kinder?«
Sess stand unmittelbar neben ihr, aber er hörte ihr offenbar gar nicht zu. Er beobachtete einen Hund weiter hinten im Käfig, ein hageres Tier, nicht älter als acht oder zehn Monate, mit wuchtigem Kopf und Pfoten, so groß wie Kuchenbleche. »Der da«, sagte er, »könnte ich mir den mal ansehen?«
Die Frau sah ihn
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