Drop City
mal aus dem Bett steigen würdest, wenn es dir das Leben rettet, da fehlt einem so ziemlich alles.«
Dann schwiegen sie, der Hund ließ den Kopf zum Fenster hinaushängen, die Sonne besiegte die Wolken, um die Straße vor ihnen zu beleuchten wie eine Stadtautobahn, und Joe Boskys Mustang rumpelte durch die Spurrillen und erwischte jede Pfütze. Verkehr war kein Problem. Sie überholten zwei Autos, die in ihre Richtung fuhren – wahrscheinlich unterwegs nach Boynton Hot Springs, wo es eine baufällige Feriensiedlung für Sommergäste gab –, und aus Boynton kamen ihnen sechs oder sieben Fahrzeuge entgegen, die Sess alle kannte. Er pfiff sich durch vier schräge Versionen von »My Favorite Things«, irgend etwas von Dvoˇrák, sie war sich nicht sicher, welches Stück, und verrückterweise auch »I Saw Mommy Kissing Santa Claus (Underneath the Mistletoe Last Night)«, und dann wurde es Abend, und sie waren knapp fünf Kilometer außerhalb von Boynton, als er an den Straßenrand fuhr, an einer Stelle, wo der Birch Creek sich gleich neben der Straße dahinschlängelte und man am Ufer die nackte Erde durchkommen sah, wo irgendwer eine Zeitlang zum Angeln gesessen hatte. »Zeit zum Aussteigen, Pamela«, sagte er, und noch ehe sie den Griff gefunden hatte, eilte er um den Wagen herum und öffnete ihr die Tür. »Zeit, sich die Beine zu vertreten. Komm, Lucius, guter Hund. Willst du dir auch die Beine vertreten?«
Der Birch Creek war kein Bach, sondern ein richtiger Fluß, träge und tief an dieser Stelle, das Wasser hatte die Farbe von altem Tee. Der Hund hob das Bein und schnupperte. Sess nahm Pamela in die Arme und gab ihr einen Kuß, der voller Leidenschaft und Hunger war, dann ließ er sie los und begann, die Einkäufe in die beiden Rucksäcke zu packen, die sie in Fairbanks gekauft hatten. Die Moskitos waren überglücklich. »Was hast du vor, Sess?« fragte sie und stellte sich vor ihm auf. »Willst du den Wagen etwa einfach hier stehenlassen, ja?«
Er antwortete nicht. In seinem Nacken spannten sich die Sehnen an, als er Dosen, Gläser und Tüten mit Pasta und Marshmallows möglichst geschickt in die Rucksäcke verstaute, um die Last gut zu verteilen.
»Das scheint mir alles wenig Sinn zu haben, Sess«, hörte sie sich sagen, dabei wollte sie keineswegs nörgeln – sie wollte eigentlich den Mund halten, konnte es aber nicht. »Schließlich warst du heute früh mitten auf der Hauptstraße von Boynton, wo dich jeder sehen konnte, hast sogar noch gehupt, und dann sind ja wohl auch deine Fingerabdrücke überall im Wagen verteilt. Plus ein paar Hundehaare.« Sie versuchte es mit Humor, obwohl sie schon wieder eine Stinkwut hatte: »Was würde wohl Perry Mason daraus machen?«
Er blickte aus seiner hockenden Stellung zu ihr hoch, ehrlich verdutzt. »Wer ist denn Perry Mason?« Dann stand er auf, nahm beide Rucksäcke bei den Riemen und stellte sie abseits ins hohe Gras. »Pamela«, sagte er, »du mußt mir bitte noch kurz einen Gefallen tun, ja?« Er wartete ihre Antwort nicht ab. »Halt doch mal Lucius fest, damit er nicht erschrickt, ja?«
»Damit er nicht erschrickt? Wovon redest du da?«
»Mach das einfach, okay?«
Und dann kam das große Finale, das ihr Herz vollkommen einschrumpfen ließ, denn ihr Mann war völlig außer Kontrolle, hatte den Verstand verloren, und was er da tat, war endgültig und unwiderruflich – ebensogut hätte man sich Frieden zwischen den Engländern und den Iren wünschen können oder zwischen Israelis und Palästinensern. Er setzte sich wieder in den Wagen, startete röhrend den Motor, ließ aber die Fahrertür sperrangelweit offen. »Weißt du, es gibt wahrscheinlich keine fünfhundert von diesen Shelby Mustangs in den ganzen Vereinigten Staaten«, sagte er, laut genug, um den Motorenlärm zu übertönen, dann ließ er ihn über den Erdhügel und die Böschung hinab in den Bach donnern und sprang im letzten Moment hinaus, als das Wasser den Wagen ergriff und das Heck einen kurzen Moment lang steil nach oben wackelte, ehe es geradewegs versank und der stete Sog der Strömung darüber hinwegspülte.
18
Ronnie stand drauf, er stand total und absolut drauf. Er war wieder unterwegs, seine Hand lag lässig auf dem Lenkrad des Studebaker, Star und Marco zwängten sich neben ihm auf der Vorderbank, auf dem Dach stapelten sich festgezurrte Kartons, und auf dem Rücksitz rekelte sich Lydia in ihrer durchsichtigen Bluse. Er fuhr dicht hinter dem Bus her, aus dessen Rückfenster ihm Merry
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