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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ganzen Nachmittag und den halben Abend weggeblieben, während die anderen im Bus hockten und sich fragten, ob er sie im Stich gelassen hatte. Norm war bei der ersten Ausfahrt abgebogen und hatte den Bus einfach auf einem verkrauteten Feld an einer schmalen Landstraße abgestellt. Es war ein häßlicher Platz, die Bäume waren nichts als Gestrüpp, eine Fabrik spuckte nicht weit weg ihren Qualm aus, und ringsherum standen die allgegenwärtigen Einfamilienhäuser im Rancho-Stil von Stadtrand-Amerika. Ein paar der Männer sammelten Zweige und brachten ein Feuer in Gang, und die Frauen schafften eine Art Paella, angereichert mit geklautem Thunfisch, Gemüse und allen Gewürzen, die sie im Gepäck auftreiben konnten.
    Autos schossen vorüber wie Düsenjäger. Das Geschrei spielender Kinder bildete die Geräuschkulisse. Die Leute aßen hastig, irgendwie schuldbewußt, denn mit so einer Szene hatte keiner gerechnet. Sogar Che und Sunshine wirkten lethargisch und rührten kaum ihre Teller an. Gegen sechs Uhr, mitten beim Abendessen, kamen aus einem weißen Rancho-Haus mit cremefarbenen Zierkanten und einem brandneuen roten Auto in der Einfahrt zwei Männer in Sporthemden über die Straße. »Hier wird nicht gecampt«, hörte Star einen der Männer sagen, und der andere fügte hinzu: »Und Feuer wird auch keins gemacht.« Daraufhin kletterten alle in den Bus zurück, bis Norm endlich auftauchte und die Karawane weiterziehen konnte.
    Nach Mitternacht holte Reba die Dosen mit Krabbenfleisch und geräucherten Austern und die übrigen Leckereien hervor, und Star tischte ihren Käse auf. Der Bus donnerte durch die Nacht. Das Armaturenbrett glühte grün, und alle wurden sanft geschaukelt, als lägen sie in einer riesigen Wiege. Norm saß am Lenkrad, das er mit beiden Händen gepackt hielt, Premstar quetschte sich mit ihm auf den Fahrersitz aus rissigem Vinyl. Ronnie war ein Scheinwerferpaar hinter ihnen, jetzt leisteten ihm Mendocino Bill und Verbie und ihre Schwester Gesellschaft, man wechselte sich ab, alles wurde geteilt. Marco, der Norm auf den Besuch bei seinem Onkel begleitet hatte – »Damit er nicht so allein ist und um rauszukriegen, wo der Goldschatz versteckt ist, falls wir mal ein bißchen Kleingeld brauchen« –, saß hinten im Bus und spielte Karten mit Alfredo und ein paar anderen unter einer Lampe, die Bill notdürftig montiert hatte. Die Kinder schliefen. Und die meisten anderen auch.
    So kam es, daß Reba, Merry, Maya, Lydia und Star sich auf drei Bänken rekelten, plauderten und Leckereien verkosteten, während der Bus dahinrollte und die vagen Lichter von Häusern, Tankstellen und Farmen in einem nicht zu entziffernden Code vor den Fenstern vorbeiflitzten. »All dieses natürliche Zeug geht einem doch irgendwann auf die Nerven, wißt ihr?« meinte Reba. »Tofu. Tahin. Brauner Reis. Auch wenn’s gesund ist. Auch wenn ich total dafür bin. Aber das hier« – sie legte eine Sardine auf eine dünne Scheibe Weißbrot und leckte sich das Öl von den Fingern –, »das ist kein Luxus, das ist eine Notwendigkeit , alles klar?«
    Entwendete Salzcracker gingen herum, dazu etwas Brot und eine Spätlese, die Reba in der Alk-Abteilung eingesackt hatte. Es war ihnen allen klar. Und Star aß ihre Käsestückchen, dazu geräucherte Austern, dafür hatte sie eine Schwäche, und genoß den Augenblick. In der Innentasche ihres Rucksacks, in einer Falte zwischen dem Rahmen und dem großen Packteil, hatte sie drei Einhundertdollarscheine, von denen niemand etwas wußte, auch nicht Marco, Ronnie, Merry oder Maya. Das war der Rest ihrer Ersparnisse, das Geld, das sie gehortet hatte, bevor sie ihren Lehrerinnenjob an den Nagel hängte, als sie noch im Haus der Eltern gewohnt hatte und ihre Ausgaben einzig und allein für Schallplatten draufgegangen waren. Höchstens noch Klamotten und mal einen Brandy Alexander oder einen Black Russian im Surf ’n’ Turf, was in Peterskill einem echten Tanzclub noch am nächsten kam; der Rest ihres Geldes war für Benzin und Essen bei der Fahrt quer durch die USA gewesen, und seit damals war alles – Essensmarken, Arbeitslosengeld und die Schecks, die ihre Mutter c/o Drop City geschickt hatte – im Gemeinschaftstopf verschwunden. Diese drei Scheine würde sie auf keinen Fall angreifen, weder für Luxus noch für Notwendiges, außerdem hatte Norm versprochen, sie allesamt finanziell durch den ersten Winter zu bringen, zumindest soweit es die Grundbedürfnisse anging.
    Lydia, die sich gegenüber

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