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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Brüder und Schwestern – triezten ihn mit spitzen Stecken durch die Gitterstäbe. »Blödsinn«, sagte er zum drittenmal. »Das glaub ich dir nicht.«
    »Glaub’s mir besser«, sagte Alfredo und wandte sich zum Gehen, und er nahm eine ganze Wand von Gesichtern mit sich. Merry sah aus, als hätte man sie einen Felsen hinuntergestürzt, und Jiminy schien auf ein Zeichen zu warten, um sich auf alle viere hinunterzulassen und wie ein Hund zu bellen.
    Alfredo. Giftstoffe. Quarantäne. Ronnie gab darauf einen Scheiß – das war absoluter Quatsch, nur ein weiterer Schlag gegen ihn, als würde es Alfredo fertigmachen, wenn er ihn mal für irgendwas loben müßte. Er rührte im Topf, fischte eine Muschel heraus und legte sie auf die Tischplatte. Sie war perfekt und zart – man durfte sie nicht einen Herzschlag zu lange kochen, sonst kaute man Leder –, die schillernde schwarze Schale klaffte auf und gab das rosaorangene Fleisch im Innern frei, und er wollte es Merry zeigen und seinen Muschel/Muschi-Spruch loswerden, wonach das Fleisch und die Lippen der Muschel einen bestimmten Teil der weiblichen Anatomie ähnelten, weshalb die Medizinstudenten oft gebrühte Miesmuscheln sezierten, weil die Originale schwieriger zu kriegen seien, aber Merry war schon weg, hatte sich bei Jiminy eingehakt und war durch den Staub verschwunden, um ihre Ration von altbackenem Brot mit Erdnußbutter zu fassen.
    Nur Angela, Verbies Schwester mit den engstehenden Augen und dem laternengroßen Mund, blieb bei Ronnie, um zuzusehen, wie er aus den beiden Schalen – zweischalige Mollusken , an diesen Terminus erinnerte er sich aus dem Biounterricht von Mr. Boscovich, das waren sie, richtig leckere zweischalige Mollusken – das glänzende Muschelfleisch herausbrach und sich versuchsweise auf die Zunge legte. »Du willst das doch nicht wirklich essen?« fragte sie, und er hätte ebensogut einen Zirkusclown abgeben können, der die Vorderzähne über der bebenden Kehle des zappelnden Hühnchens bleckte, während das Publikum den Atem anhielt. Natürlich würde er es essen, gar keine Frage.
    Es dauerte längere Zeit, seine Zunge rollte das Muschelfleisch eine Weile im Mund herum, ehe er auch die Zähne ins Spiel brachte. Also, was sollte daran schlecht sein? Alle Aromen waren da, Butter, Estragon, das Meer, und der Geschmack war prima, geradezu köstlich – es war die beste und frischeste Muschel, die er je gegessen hatte, oder doch nicht? Er kaute nachdenklich. Und dann spuckte er den seltsam gefärbten Klumpen in die hohle Hand und schleuderte ihn in die Büsche.

19
    Star hatte noch nie im Leben etwas gestohlen, nicht mal mit Zwölf oder Dreizehn, als sie alle möglichen Grenzen überschritt und für eine Puderdose oder einen Eyeliner hätte sterben können und außerdem sowieso niemand hinsah, weil ihre Freundinnen die alte Frau an der Kasse ablenkten, und jede von ihnen hatte irgendwas für sich geklaut – einen Kamm, eine Packung Kaugummis oder Schokolinsen –, als wären es Trophäen. Nicht daß sie die Nerven nicht aufbrachte – sie war eben so erzogen worden, daß man das Eigentum von anderen respektierte, immer das Rechte tat und das Rechte dachte und ein moralisch hochstehendes, braves katholisches Mädchen zu sein hatte. Aber jetzt stand sie vor den Kühlregalen eines Supermarkts knapp außerhalb von Seattle und rauchte eine Zigarette vor der Käseabteilung, und die Taschen, die sie ins Futter ihres Mantels genäht hatte, waren vollgestopft mit edlem ausländischem Käse, mit Gouda und geräuchertem Cheddar und Jarlsberg, wobei es sie auch nicht weiter scherte, daß draußen siebenundzwanzig Grad waren und niemand sonst auf der Welt einen Mantel anhatte, nicht mal einen Pullover.
    Reba und Verbie schoben einen Gang weiter ihren Wagen vor sich her, schön gemächlich, und an der Kasse würden sie ihre Essensmarken vom Sozialamt gegen frisches Gemüse, Vollweizenbrot und Familienpackungen mit Reis und gelben Bohnen tauschen, jetzt aber steckten sie verstohlen Dose um Dose Thunfisch, Krabbenfleisch und Artischockenherzen in ihre Handtaschen, die so sorglos an ihren Schultern baumelten. »Das ist ein Familiending«, hatte Reba erläutert, als sie über den asphaltierten Parkplatz geschlendert waren, »die Familie ernähren ist das einzige, was zählt. Dieser Laden, die gesamte Kette, ist schließlich Teil des Establishments, hier heißt es die gegen uns, das sind doch ein Haufen Millionäre, die irgendwo in ihrem Firmenhauptquartier

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