Drop City
»Und was war dann?« fragte Lydia.
»Na, wir haben mal da, mal dort gewohnt. Bei Bekannten von ihm. Haben jede Menge Drogen eingeworfen. Ich bin dann eine Zeitlang arbeiten gegangen, in einem Drugstore an der Kasse, und wenn gerade niemand hinsah, hab ich ein paar Pillen abgezweigt, so in der Art, wißt ihr.« Der Käse kam auf seiner Runde zu ihr, und alle sahen Merry zu, wie sie sich zwei dicke Scheiben abschnitt und auf die Cracker legte. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Und dann kamen wir in diese Kommune – Harrad House hieß die. Die war anders als hier, total anders. Die waren richtig auf Sex fixiert. So eine Art Gruppenehe.«
»Und wie war es?« Das war Lydia, die Expertin in der Runde. »Mußtest du mit jedem einzelnen schlafen?«
»So was fände ich widerlich«, sagte Star. »Echt widerlich.«
»Klingt doch spitze«, sagte Lydia. »Je mehr, desto besser.«
Reba lachte laut auf. Sie nahm einen tiefen Schluck Wein und reichte die Flasche an Lydia weiter. »Das sagst du jetzt, aber glaub mir ... Ich meine, bevor ich Alfredo kennengelernt hab, da war ich ja auch verdammt wild, als wär ich Tag und Nacht läufig – also, ich konnte zu Männern nur im Bett Kontakt finden, aber das wurde schnell eintönig. Echt schnell. Stimmt’s, Merry? War’s bei dir auch so?«
»Es war beschissen. Die hatten mehr Typen als Bräute, und Tommy war nur noch ein Schatten irgendwie – ich hab ihn kaum je gesehen. Die Hälfte der Zeit hat mich irgendwer aufs Kreuz gelegt, und wenn ich bei einem dieser Familienmitglieder mal nicht wollte, dann hieß es gleich, ich sei verklemmt oder ich würde schlechte Schwingungen verbreiten und die Atmosphäre vergiften, denn so war das bei denen. Zack, rein ins Schlafzimmer. Kleider vom Leib. Fünf Uhr morgens, fünf Uhr abends, egal, bumsen wir.« Sie machte eine Pause, und als sie weitersprach, versank ihre Stimme praktisch durch die Bodenplatte. »Jeder hatte da seine Aufgabe im Haushalt, also Boden putzen, Nudeln kochen, arbeiten gehen und Geld nach Hause bringen. Mein Job war es, zu ficken. Wie eine Maschine. Wie ein Karnickel.«
»Wo ist nur Verbie, wenn wir sie mal brauchen – da geht’s um die Gleichberechtigung, was?« meinte Reba und verfehlte haarscharf das Thema. Wie üblich.
Star spürte ihr Herz rasen, und es war, als stünde sie wieder im Supermarkt, mit Käse im Wert von fünfzehn Dollar im Mantelfutter. »Klingt ja genau wie bei der Kerista-Gesellschaft.«
»Wie bei der was ?«
Aber sie starrte jetzt aus dem Fenster, auf eine Szene aus einem anderen Jahrhundert, die spitzen Kiefern und ein Farmhaus, das von seinem eigenen bleichen Glanz und von dem Schatten der Scheune dahinter eingerahmt wurde. Sie schliefen da drinnen, der Farmer und seine Frau, die Kinder, der Hund. In der Küche stand ein alter Eichentisch, schweres rosa Porzellan, schon fürs Frühstück aufgedeckt, ein Kalender an der Wand. Der Kühlschrank schaltete sich brummend ein, dann wurde er plötzlich wieder still, und niemand bemerkte es, nicht mal der Hund.
»Ach, egal«, sagte sie. »Ist nicht so wichtig.«
Nach zwei Uhr nachts erreichten sie die kanadische Grenze. Star schlief, hatte sich in einer der Bettenkojen eingerollt, und sie fühlte den Bus unter sich beben, als wäre die ganze Welt in Bewegung, dann aber ruckte er kurz und kam zum Stillstand, und schon war sie wach. Sie standen am Straßenrand unter einem Schild mit der Aufschrift Internationale Grenze 3 km. Norm ging den Mittelgang entlang und weckte die Schläfer auf. »Wir sind an der Grenze, Leute, kommt schon, alles aufwachen!« sagte er, sein Gesicht war eine bleiche Birne in der Dunkelheit, die Schultern hingen herunter und die Arme baumelten haltlos, als hätte er die Kontrolle über sie verloren. Das war es also. Das war der große Augenblick. Wenn sie es nicht nach Kanada hinein schafften, dann würden sie nicht nach Alaska kommen, und Drop City war tot.
Marco lag in der Koje unter ihr und fuhr beim Erwachen heftig zusammen. Sie griff mit der Hand nach unten und schob den Kopf über den Rand, um ihn sehen zu können. Er starrte ins Leere, der feuchte Glanz seiner Augen reflektierte gerade genug Licht, um ihr zu zeigen, daß sie geöffnet waren. »Hallo«, sagte sie, »wir sind da. Zeit zum Aufwachen.«
»Scheiße«, sagte er und schob ihre Hand beiseite. »Schon?« In einer einzigen Bewegung glitt er aus dem Bett, dann fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar und stopfte das Hemd in die Hose. Überall schlurften jetzt
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