Drop City
sein.«
In diesem Moment kam Reba aus dem Wald, mit einem Armvoll Feuerholz und hermetisch verschlossener Miene, dicht hinter ihr Alfredo. Er hielt ein Beil in der einen Hand und einen halbverfaulten Kiefernast in der anderen. Rebas Blick erfaßte den Kochtopf. »Was ist das?« fragte sie. »Kochst du was, Ronnie?« Oh, und nun grinste sie aber, allerdings. »Etwa für alle?«
Sie trug Mokassins, die sie selbst genäht und bestickt hatte, und in ihrem Perlenstirnband steckte eine irisierende schwarzblaue Rabenfeder – sie brauchte nur noch ein paar Streifen Kriegsbemalung, und schon ginge sie als Squaw in einem Film von John Ford durch, und das war witzig, weil Star das auf der Fahrt durch die Staaten andauernd gesagt hatte: der ganze Hippie-Stil sei so ähnlich wie Cowboy-und-Indianer-Spielen, von den Stiefeln und den weiten Hosen, die an lederne Chaps erinnerten, bis hin zu den Umhängen und Stirnbändern und den großen Hüten. Er hatte das damals bestritten, einfach weil es ihm nicht selbst eingefallen war und weil der Gedanke an seiner Selbsteinschätzung nagte, aber es stimmte, und in diesem Moment begriff er das. Reba spielte Cowboy und Indianer und er und alle übrigen auch.
»Das sind Miesmuscheln«, sagte er. »Genug, um den ganzen Campingplatz zu füttern, uns und die Spießer noch dazu.«
Alfredo stand in Stiefeln und Jeanshemd neben ihnen und zog ein verwundertes Gesicht, als wäre er in dem bewußten Western soeben von seinen Amigos vor dem Galgen errettet worden. »Miesmuscheln?« echote er. »Wo hast du die denn her?«
Pan fühlte sich klasse. Er fühlte sich weitherzig und großzügig, brüderlich und schwesterlich. Also gab er eine ausführliche Schilderung seines Kampfes gegen die See am Morgen vor zwei Tagen zum besten.
Und was war Alfredos Reaktion darauf? Die Reaktion des verklemmtesten und am wenigsten in sich ruhenden Mitglieds in diesem ganzen Wanderzirkus? Wie reagierte er auf Pans selbstlose Geste und seinen großen Stolz dabei? Er sagte: »Du bist ja total bescheuert, Mann. Ist dir nicht klar, daß die in dieser Jahreszeit unter Quarantäne stehen?«
»Unter Quarantäne? Wovon redest du da?« Falls es Alfredo da um Angelscheine und Schonzeiten und diesen Quatsch ging, dann konnte er ebensogut mit seinem Schuh sprechen. »Okay, Juni ist ein Monat ohne r, aber ...«
Alfredo legte das Beil beiseite und hob den Deckel des Topfes. Die Muscheln brodelten schwarz im siedenden Wasser. »Meine Güte!« sagte er. »Du hättest uns alle vergiften können.«
Ronnie spähte ebenfalls in den Topf, dann sah er Merry und Reba an, ehe er sich wieder an Alfredo wandte. »Blödsinn«, sagte er.
Inzwischen scharten sich ein paar der anderen um sie – Maya, Angela, Jiminy –, und Ronnie blieb keine Wahl, als sich zu behaupten. »Blödsinn«, wiederholte er. »Was soll das mit der Quarantäne?«
»Muscheltoxin«, sagte Alfredo. »Rund vierhundert Menschen sind in San Francisco dran gestorben, irgendwann um die Jahrhundertwende war das, glaub ich. Es gibt da Organismen, die in gewaltiger Konzentration auftauchen, wie eine Algenflut, sobald die Wassertemperatur einen bestimmten Wert übersteigt – das passiert im Sommer, immer nur im Sommer –, und alle Pfahlmuscheln, Miesmuscheln und so weiter reichern den Giftstoff aus diesen Kleinstlebewesen in ihrem Fleisch an, und den Muscheln schadet das auch gar nicht, aber uns.«
»Ihr wißt ja, die CIA?« warf Jiminy ein. Sein Gesicht war ein sonnenheller Keil aus Nase, Kiefer und einem hellen, strahlenden Auge, umrahmt von seinem dichten Haar. Er war aufgeregt, überglücklich, unendlich witzig. »Die haben diese Auftragsmörder, die tun das Zeug auf eine Nadel und piken einen irgendwo auf einer belebten Straße damit – nur ein kleiner Stich, den man kaum spürt, und schon ist man tot.«
»Totale Lähmung«, sagte Reba. »Als erstes die Finger und Zehen, dann die Extremitäten als Ganzes, bis man völlig bewegungsunfähig ist und sich weder rühren noch etwas fühlen kann ...«
»Genau«, sagte Alfredo, »und dann erfaßt es die inneren Organe.«
Inzwischen lag ein herrlicher Duft in der Luft, das süße, speicheltreibende Aroma von Muscheln im eigenen Saft mit Butter und Zitrone, Salz und Pfeffer und vielleicht einem Hauch Estragon. Aber Ronnie stand nun nicht mehr an einem Picknicktisch auf einem Campingplatz inOregon zu zwei Dollar die Nacht, nein, er saß in einem Käfig im Zoo, und alle diese Leute – seine Freunde, seine Mitstreiter, seine
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