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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Drop City, das sind wir, Botschafter des Friedens, der Liebe und des höheren Bewußtseins, und wir kommen den weiten Weg von Kalifornien hierherauf, um die Hütte meines Onkels Roy in Besitz zu nehmen – Roy Sender, ja? –, am Ufer des wunderschönen, sanften und glasklaren Thirtymile River. Und wir sind hocherfreut, euch hier zu treffen.«
    Der Mann kratzte sich am Hinterkopf und ließ seinen Blick von einem Gesicht zum anderen hüpfen wie bei einem Kinderspiel. »Teufel auch«, sagte er. »Ihr seid tatsächlich Hippies.«
    Die Frauen kicherten. Mendocino Bill sagte: »Stimmt genau. Und wir sind stolz drauf.«
    Und dann schien der Mann auf etwas ganz anderes zu kommen, auf eine weiterführende Idee, die ihn richtiggehend ratlos machte, und Marco sah ihn mit den Füßen im beigefarbenen Staub der Straße herumscharren. Sah, wie er die Stirn runzelte und wie sein Grinsen verschwand. Der Mann ließ den Blick umherschweifen, dann wandte er sich wieder an Norm. »Hast du eben Roy Sender gesagt?«

21
    Das hatte er gesagt, Roy Sender – Roy Senders Hütte –, und Sess bemühte sich heftig, seine Gesichtsmuskeln zu beherrschen, aber seine Körpersprache verriet ihn. Er trat einen Schritt zurück, um Distanz zu gewinnen, und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Das war ja verrückt, vollkommen verrückt, wie aus einer Zeitschrift herausgerissen – »Die Woodstock-Generation«, »Sex, Drogen und Rock ’n’ Roll« oder so was –, herausgerissen und zum Leben erwacht, zu dreidimensionalem Fleisch und Blut, und Fleisch war hier das zentrale Wort, denn diese Hippiefrauen, die da am Straßenrand saßen, waren der Stoff, aus dem sich die Winterphantasien in der Wildnis zusammensetzten, und zwei von ihnen, die kleine Blonde und die Brünette mit dem Cowboyhut, die die Beine von sich streckte, hätte man ohne weiteres auch in einer ganz anderen Sorte Zeitschrift finden können. Er dachte an den Playboy , an Dude , und dann dachte er: Am Thirtymile River? Hat der eben Thirtymile River gesagt ?, als ihn der dicke, speckige Kerl mit den vielen Goldfüllungen – der Neffe – mit einer wahren Flut von Fragen überschüttete: Wer waren denn sie eigentlich? Wo wollten sie hin? Waren sie schon mal in Boynton gewesen? Wußten sie, ob der Zug der Lachse bereits begonnen hatte? Und wie stand’s mit den Beeren? Waren die Beeren im Wald schon reif?
    Sess warf Pamela einen Blick zu. Sie wirkte wie eine Ethnologiestudentin, die man versehentlich beim falschen Stamm abgesetzt hatte – unter Kopfjägern, während sie auf ein Volk von Korbflechtern gefaßt war –, und sie gab nichts von sich preis, nicht einmal ein dünnes Lächeln. Lucius zog sich ebenfalls von diesen Leuten zurück – er drückte sich gegen Sess’ Beine und beobachtete die beiden hellbraunen Hunde, die im Staub herumhüpften und ihn mit den Schnauzen anstupsten. Inzwischen kletterten weitere Hippies aus dem Bus, eine wahre Halloweenparade von wüsten Typen in seltsamen Farbkombinationen, lauter Glöckchen, Perlen, Stirnbänder, überweite Hosen, in denen man ihre Füße gar nicht sehen konnte, und Haare wie Wildbäche, so daß es schwer zu sagen war, wer hier Männchen und wer ... Na ja, da gab es wohl doch weniger Probleme, außer man war blind, obwohl diese Frauen anscheinend allesamt ihre BHs verbrannt hatten.
    Sess ergriff die Hand des Neffen zum zweitenmal, diesmal aus eigener Initiative, und natürlich war er einigermaßen hinüber von den diversen Drinks dieses Tages und voll der sprudelnden Schadenfreude darüber, daß er soeben Joe Boskys Wagen versenkt hatte, also brachte er ein Lächeln zustande und stellte sich vor. »Sess Harder«, hörte er sich sagen, und war das alles nicht irrwitzig, absolut irrwitzig? »Und das hier ist Pamela, meine Frau. Und mein neuer Hund, Lucius.« Bisher hatte er die Fragen, die auf ihn eingeprasselt waren, nur mit einem Knurren oder Kopfnicken beantwortet, jetzt aber fühlte er sich redselig und erzählte ihnen, daß die Königslachse in der Tat ihren Zug begonnen hatten, daß die Beeren langsam reif wurden und daß er mit Roy Sender zusammengewesen war, als dieser Alaska verlassen hatte. Daß er ihm sogar beim Umzug behilflich gewesen war.
    »Echt? Also, im Ernst jetzt mal? Du hast meinen Onkel gekannt?«
    Er erzählte ihm nicht, daß Roy Sender für ihn wie ein Vater war, wo er doch keinen eigenen Vater auf dieser Welt mehr hatte, oder daß ihm Roy Sender alles beigebracht hatte, was es zu lernen gab, oder daß Roy Sender

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