Drop City
bestimmt kein Hippie war und auch nie einer hätte sein können – weil er nämlich daran geglaubt hatte, daß man etwas aus sich selbst machen konnte, auf seine ganz persönliche Art, egal, wie schlecht die Chancen standen, denn er hatte zu der Sorte Männer gehört, die lieber in ihrer eigenen Haut verfault wären, ehe sie Wohlfahrt oder Stütze oder sonstwas vom Staat kassiert hätten. Er sprach nicht von der Idylle des Thirtymile, der klaren Luft und der atemlosen ewigen Stille von minus vierzig Grad, wenn der Frost sich dem Fluß um die Kehle legte wie die Hand eines Würgers. Er sagt nichts weiter als: »Genau.« Dann fragte Pamela, die bis zu diesem Punkt geschwiegen hatte: »Vereinigte Washo-Schamanen? Macht ihr so eine Art Klassenausflug, oder wie ist das?«
Eine der Frauen aus dem Bus hatte dunkles Haar in Zöpfen, ein spitzes, entschlossenes Gesicht und einen Blick, der einen in sich aufnahm und wieder ausspuckte. Sie war dreißig, mindestens dreißig, und trug ein ausgebleichtes Jeanshemd und irgendwie improvisierte Hosen, vielleicht war es auch ein Rock. Sie ging barfuß. Ihre Füße waren dreckig. »Wir sind eine Familie«, sagte sie, dabei trat sie dicht an Pamela heran und streckte beide Hände aus. »Nur eine Familie, weiter nichts.«
Pamela – und hier mußte Sess grinsen, weil sie so treuherzig und nett war, ohne die geringste Spur von Boshaftigkeit – nahm die Hände der Frau einen Moment lang und hielt sie fest, bis ihre guten Manieren ihr sagten, daß sie wieder loslassen sollte.
»Siehst du den Mann da drüben?« fragte die Frau, worauf sich alle zu einem schmächtigen braungebrannten Mann ohne Hemd und mit einem fettigen Patriarchenvollbart umdrehten, der am Flußufer stand und Steine hüpfen ließ. »Das ist mein Mann. Und da drüben die beiden« – hier deutete sie auf zwei halbnackte Kinder, die unten am Wasser herumsprangen und Fangen spielten, umringt von Moskitos –, »das sind meine Kinder. Und die übrigen, alle anderen hier, ja? Das sind meine Brüder und Schwestern.«
Währenddessen konnte der Neffe sich kaum beherrschen, sein Kopf ruckte ständig vor und zurück, und er vollführte in seinen Sandalen ein kleines Tänzchen. »Hört mal«, sagte er, »also, ich weiß ja nicht, auf was für einem Trip ihr seid oder wo ihr heute nacht pennen wollt und so weiter, aber was ich sagen will: Wer ein Freund von Onkel Roy ist, der ist auch meiner, und deshalb seid ihr willkommen, sogar herzlich willkommen, in diesem Bus mit uns in die Stadt zu fahren, und laßt mich diese Einladung gleich mal insofern ausdehnen , als ihr ebenso willkommen seid, mit uns die erste gemeinsame Fete aller Pilger und Mitreisenden von Drop City Nord zu begehen, die wir noch heute abend am Ufer des mächtigen Yukon feiern werden, während die Sonne die Nacht hindurch scheint und die Vögel zwitschern und die ausgeflippteste, fröhlichste Musik bis zu den Baumwipfeln hinauf abhebt.«
Pamela schlug das Angebot aus. »Wir haben noch was zu erledigen«, sagte sie. »Und zu Fuß ist es gar nicht mehr weit, ehrlich, nur ein paar Kilometer.«
In diesem Moment hielt einer der Hippies, ein Bursche mit einem roten Tuch um den Kopf und einem blutbefleckten Hemd, Sess eine Feldflasche mit Wein hin, und Sess warf den Kopf in den Nacken und nahm einen kräftigen Zug davon, ehe er sie an Pamela weiterreichte. Er sah sich um. Die Hippies grinsten ihn an. Der Neffe sah aus, als wäre er in Schlagsahne getaucht. Joe Boskys Karre war inzwischen Treibgut – oder vielleicht Strandgut? Auf Pamelas Lippen glänzte der süße Wein.
»Klar«, sagte Sess. »Klar doch, wir fahren mit euch.«
Im Three Pup befand sich die übliche Staffage von Stammgästen – Skid Denton brabbelte französische Gedichte in sein Schnapsglas, Lynette stand hinter der Theke, die Arme vor der Brust verschränkt, wie ein Riegel, dessen Schlüssel verlorengegangen war, Richie Oliver und sein Trostpreis soffen sich in eine andere Dimension hinüber und kauten selbstvergessen ihre Erdnüsse. Iron Steve beugte sich über den Pooltisch, neben sich einen wuchtigen Mann mit Adlernase, der nur ein Tourist sein konnte, weil Sess ihn nicht kannte, und Tim Yule, einen frischen Popel an der Nasenspitze und die Papiernelke, die er bei der Hochzeit getragen hatte, immer noch im Knopfloch, stand auch bei ihnen und klammerte sich an sein Queue, als wäre es am Boden festgeschraubt. Die Kneipe roch, wie sie immer roch, wie ein alter Stiefel voller Hackfleisch,
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