Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
hätten sie ebensogut in der Serengeti oder den Steppen Kirgisiens haben können.
    »Ich würde das im Handumdrehen zu Fuß schaffen«, sagte Marco.
    »Ich auch«, pflichtete Jiminy etwas lahm bei. Von den Räucherstäbchen stiegen nun Qualmfahnen auf, und die klare, kühle Luft bekam einen Beigeschmack von verbrannter Pflanzenessenz.
    »Einfach, um es endlich zu sehen, weißt du, was ich meine?« Marco hakte nach – er tat das ganz unwillkürlich. »Ich hab mir das jetzt so lange vorgestellt, daß ich schon weiß, daß ich enttäuscht sein werde. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht bin ich dann angenehm überrascht. Kommt ja vor, oder? Bist du nicht auch hin und wieder angenehm überrascht, so ungefähr jedes hundertste Mal?«
    »Nichts ist so, wie man sich’s vorstellt«, sagte Star. »Der Verstand schafft sich seine eigene Wirklichkeit, und wie sollten die tatsächlichen Dinge da jemals heranreichen? Das ist doch so, als würde man einen Zeitungscartoon mit einem Spielfilm vergleichen.« Sie saß dicht neben ihm und hielt ihm auf der offenen Handfläche eine gesprenkelte Tablette hin, die ihn an die Pastillen zum Färben von Ostereiern erinnerte.
    »Oder ein Buch«, sagte Maya. »Ein Buch mit einem Spielfilm.«
    »Ich weiß nicht, wir sollten da besser auf Norm hören«, sagte Merry, lehnte sich auf die Ellenbogen zurück und streckte die Beine auf der Straße aus, als ließe sie sich in einen Liegestuhl sinken. Ihre Pupillen waren weit und schwarz wie die einer Katze. Sie trug einen Vaquerohut mit weicher Krempe und einen mexikanischen Umhang über der Bluejeans, und ihre Füße waren nackt und schmutzig und von Moskitos übersät. Marco sah, daß sie jeden Zehennagel in einer anderen Farbe lackiert hatte, und obwohl er gar nicht auf Pille war – jedenfalls noch nicht –, meinte er, so etwas Schönes noch nie gesehen zu haben, und warum malten sich nicht alle Frauen die Nägel so an? Warum eigentlich nicht auch alle Männer? »Hey, wir haben doch keinen Druck«, sagte sie. »Können wir nicht einfach das alles hier genießen – den Himmel, die Blumen, den Fluß? Ich meine, seht euch das doch an!«
    Marco nahm es als Aufforderung und blickte in den sonnengrellen Tunnel der Straße, und da standen der Studebaker und Harmonys VW-Käfer, auf dem Schotterstreifen geparkt, aber Dale Murray und sein Motorrad fehlten, und wo war der Kerl, wenn man ihn mal brauchte? Es wäre ein Kinderspiel, mit seiner Maschine nach Boynton rüber und zurück zu schroten, kurz mal den Fluß ansehen, mitten hineinfahren, einfach nur die Luft schnuppern, Halleluja und juhuh, Boynton oder gar nichts! Doch Dale Murray war umgekehrt, einen Tag nachdem sie die kanadische Grenze überquert hatten, um nachzusehen, was aus Lester und Franklin und Sky Dog geworden war, und bisher nicht wiederaufgetaucht. Marco war das im Grunde schnurzegal, denn er kannte den Typ praktisch überhaupt nicht, und für seine Spießgesellen konnte er schwerlich irgendwelche Empfehlungen abgeben. Aber Dale Murray hatte zwei Beine und zwei Arme, und sie würden alle Hände voll zu tun haben, wenn sie ihr Projekt tatsächlich verwirklichen wollten – jedenfalls stand ihnen eine lange Durststrecke bevor, ehe sich die ersten Ausreißer oder Wochenendhippies wieder in ihren Reihen einfinden würden, das war mal sicher.
    Er hörte Lärm aus der Richtung des Busses, eine lebhafte Auseinandersetzung zwischen Mendocino Bill und Norm über die Brauchbarkeit des Ersatzreifens – »Ich hab nicht den geringsten Zweifel«, sagte Norm, »absolut keinen, also mach schon, schraub ihn fest« –, und dann drückte ihm Star den Trip in die Hand. Er nahm ihn entgegen, wie er es gewohnt war – wenn einem jemand was zum Anturnen gab, dann warf man es ein, ohne lange zu fragen –, und er ging sogar so weit, die Hand zum Mund zu führen und so zu tun, als schluckte er die Pille. Der Qualm der Räucherstäbchen stieg ihm in die Nase. Die Sonne legte ihm eine heiße Hand in den Nacken. Niemand beobachtete ihn – alle starrten über die Straße, auf den Bus, auf Norm, auf den schwarzen Reifen, der auf der Erde lag wie ein Kadaver. Aber sie waren noch nicht angekommen, dachte er, und er würde nicht feiern, ehe sie nicht wirklich da waren. Er schob die Pille in die blutbefleckte Tasche seiner ruinierten Brokatweste.
    Star brach in Gelächter aus über etwas, was Jiminy gesagt hatte, und dann lachten sie alle – auch er, Marco, obwohl er keine Ahnung hatte, worüber er da lachte oder

Weitere Kostenlose Bücher