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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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hatte, denn wie allen übrigen war ihm so elend, daß er hätte heulen können. Nach Norms Berechnungen waren sie keine fünf oder sechs Kilometer mehr von Boynton entfernt, gerade nur ein Fußmarsch – und nun gab es erneut einen Aufenthalt, ein letztes Hindernis, das sie davon abhielt, die Zelte aufzustellen und Bäume zu fällen. Endlich mal auf festem Boden schlafen, mehr verlangten sie ja gar nicht. Einfach nur anzukommen. Um ein Lagerfeuer zu sitzen und wieder eine Familie zu sein, nicht mehr eine Art Wanderzirkus.
    Star hatte neben ihm gesessen, die Moskitos waren auch auf sie mit aller Bosheit losgegangen, aber dann war sie zurück in den Bus geklettert, um sich lange Hosen und eine Jacke überzustreifen, und er hatte sie gebeten, ihm eine Dose Insektenspray aus seinem Rucksack mitzubringen. Die Landschaft war feucht hier, sumpfig, der obere halbe Meter Erde taute im Sommer zwar auf, aber er hielt das Schmelzwasser wie ein Becken, weil es nicht in die gefrorenen Schichten abfließen konnte, und das war einfach ein ideales Biotop für Culex pipiens und ihre sich krümmenden Larven im Wasser. Sie hatten in Connecticut in den Sommernächten geschwärmt, wo er aufgewachsen war, und er hatte auch schon die Viecher im Süden erlebt, in Florida und Louisiana, aber die Moskitos hier – seine erste Begegnung mit der Tierwelt Alaskas, auch nicht übel, was? – waren überhaupt kein Vergleich damit. Er schlug sich auf die Oberarme und klatschte mit der flachen Hand auf seinen Nacken, und als er niesen mußte, flog ihm ein ganzer Klumpen von zerfetzten Insekten aus den Nasenlöchern. Seine Nase pulsierte wie eine eben angeschlagene Glocke, und er trank zum Ausgleich etwas Billigrotwein aus der Feldflasche – Alfredo hatte in irgendeinem Provinzladen auf der Strecke eine Kiste Doppelliterpullen erstanden –, und mit jedem Schluck sagte er sich, er müsse ruhig bleiben, Geduld bewahren, sich treiben lassen. Wenigstens war ihm nicht mehr zum Kotzen zumute, immerhin etwas.
    Er sah zu, wie Star aus dem Bus kletterte, Merry, Maya und Jiminy im Schlepptau, alle vier mit verschwörerischer Miene. Star hatte rote Cordschlaghosen und ihr Jeanshemd angezogen, das mit den aufgestickten Tierkreiszeichen auf den Armen und den Schultern – Sagittarius, der Schütze, spannte dort seinen Bogen, als wollte er jede Bedrohung von Star abwehren. Die vier rückten über die Straße auf ihn los, mit glänzenden, triumphierenden Gesichtern im scharfen Licht der tiefstehenden Sonne, und er sah an der Art, wie Star die rechte Hand wölbte und dicht an den Körper gedrückt hielt, daß sie noch etwas anderes als das Insektenspray bei sich hatte. Er betrachtete ihre sich wiegenden Hüften, sah ihre Sandalen den Staub der Straße aufwirbeln. Ihre Züge waren ebenmäßig, ihre Augen leuchteten. Sie schenkte ihm ein so wunderschönes Lächeln, daß sie eine Renaissance-Madonna hätte sein können – vielleicht war sie aber auch einfach nur stoned.
    »Laß mich raten«, sagte er. »Keiner konnte es abwarten, stimmt’s?«
    Sie ließen sich neben ihm nieder, der vertraute Duft nach Marihuana wogte aus ihren Haaren und Kleidern zu ihm herüber. Wildblumen wurden zerdrückt und auseinandergeschoben – Lupinen, Eisenkraut und etwas, was aussah wie eine Mohnart –, dann knackten Jiminys Knie, als er sich niederließ und ein halbes Dutzend Räucherstäbchen in die körnige Erde zu ihren Füßen steckte. »Ganz genau«, sagte er und beugte sich vor, um eines nach dem anderen mit dem Feuerzeug zu entzünden, »und jetzt, mein Bester, werden wir mal diesen heiligen Schrein, der dich hier umgibt, moskitosicher machen. Fort mit euch, lästige Insekten. Und ihr übrigen, seid fröhlich und guter Laune!«
    »Ein paar von uns wollten schon zu Fuß weiter«, sagte Maya, »einfach um mal zu sehen, wie Boynton so ist – ich meine, wir sind ja praktisch gleich da. Aber Norm fand das weniger gut. Er hält das für eher uncool.«
    Ein paar Leute spielten auf der Straße Frisbee und riefen sich irgend etwas zu, während die Hunde im Gebüsch buddelten. Norm brabbelte und gestikulierte und zupfte sich am Bart, und Pan – sein Hinterkopf mit den dünnen Haarsträhnen war auf der Böschung gegenüber gerade noch zu sehen – hatte in die dunkle Wasserfläche des Flusses, der hier neben der Straße entlangglitt wie das Seidenfutter einer Jacke, seine Angel ausgeworfen. Es gab keinerlei Verkehr. Es hatte hier überhaupt noch nie Verkehr gegeben. Diesen Platten

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