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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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als versprühte sie ihren Witz und ihre Weisheit vor einem tausendköpfigen Publikum, die Gischt überzog sie mit einem feinen Nebel, am Himmel rasten die Wolken, und Pan suchte weiterhin beide Ufer ab, ob sich dort irgend etwas bewegte. Auf Verbie reagierte er nur einmal, als sie sich dem Thema Jiminy und Merry widmete und bemerkte, wie gut die zwei doch zueinander paßten, ehe sie zielstrebig zu dem Vorfall vom vergangenen Abend kam. Irgendwer habe behauptet, er sei da beteiligt gewesen, ob das stimme? Nein, brüllte er durch das Motorengeräusch, das sei absoluter Quatsch, nichts weiter. Und dabei log er gar nicht, ja er verdrehte nicht einmal die Wahrheit. Denn so, wie es sich abgespielt hatte, war er tatsächlich nicht beteiligt gewesen, falls man darunter verstand, daß er seinen Schwanz eingetunkt hätte: Merry hatte nämlich prompt die Beine zugeklappt, sich die Hose wieder hochgezogen und war aus dem Zelt gekrabbelt, voller Gejeier und Ausreden und Entschuldigungen für den guten Jiminy, und dann waren sie flußaufwärts davonmarschiert, er mit dem rechten Arm in der Schlinge, sie seine Hüfte umschlingend wie ein Lazarettverband.
    Eine halbe Stunde verging, der Motor lief auf vollen Touren, und die Strömung zog sie zusätzlich voran, er hatte Verbie innerlich fast abgedreht und lauschte eher der Melodie, in der der Außenborder der Welt seine Neuigkeiten mitteilte. Er hatte es schon aufgegeben, am Ufer irgend etwas Größeres zu entdecken – etwa einen Elch, der in den Trauerweiden schnüffelte, oder vielleicht einen Adler mit einem Fisch in den Klauen –, da erregte eine Bewegung weiter vorn im Wasser sein Interesse. Es sah aus wie ein Kissen von einem der Sofas im Wohnzimmer seiner Großmutter – oder nein, wie eine ganze Ottomane, Omas Ottomane, die da in der Strömung schaukelte, als wäre das hier der East River und nicht der Yukon. Immer noch zu weit weg, um es genau zu erkennen ... Aber jetzt, sie näherten sich rasch, sah er, daß das Ding gegen die Strömung schwamm, und warte mal, war das nicht ein Paar Ohren – und eine Schnauze?
    Verbie stoppte ihren Monolog lange genug, um zu rufen: »Hey, spinnst du oder was?«, während das Boot scharf nach links ausscherte und die Ottomane sich in den Kopf eines Bären verwandelte, eines Grizzlys mit breitem Gesicht und silbergrauem Rücken, der sich aus der Gletschermilch des Flusses emporhob wie eine Metapher der Naturgewalten. Pan war wie elektrisiert. Ein Grizzly. Sein erster Grizzly . Da war er, praktisch wehrlos, ertappt beim Überqueren des Flusses, beim Schwimmen. Pan dachte weder an das Fleisch noch an das Fell, als er das Gas wegnahm und nach dem Gewehr griff. Ihm ging es um die Klauen. Beim Poolspielen im Three Pup war ihm neulich ein Indianer begegnet, und als der Typ sich vorgebeugt hatte, um einen Stoß abzuschätzen, schwang seine Halskette frei vor dem Hemd, fünf Grizzlyklauen an einem Band aus unbehandeltem Leder, jede einzelne so lang und dick und boshaft gekrümmt wie die Finger eines Mannes – eines großen Mannes. Ronnie war so versessen darauf gewesen, diese Kette zu besitzen, daß er den Indianer gefragt hatte, wieviel er dafür haben wollte, aber der Typ hatte ihm nur einen leeren Blick zugeworfen und sich dem nächsten Stoß zugewendet. Und da hatte er begriffen: so eine Kette kaufte man sich nicht – man ging dorthin, wo der Bär die Spielregeln bestimmte, man brachte ihn zur Strecke und nahm sich die Klauen.
    Er schaltete den Motor mit der Linken in den Leerlauf und schob die Ruderpinne herum, so daß das Boot einen Bogen beschrieb und auf den gewaltigen Kopf im Wasser und den verschwommenen Schatten des Körpers zukam, während er den Sicherungshebel des Jagdgewehrs zurückschob und versuchte, seine Hände nicht vor lauter Erregung zittern zu lassen, denn das hier war ja wohl der absolute Überhammer, und es passierte genau hier und jetzt – niemand würde das so recht fassen können, schon gar nicht sein lahmarschiger Vater mit seinen Hush-Puppies und den schlaffen Schultern, begraben in seinem Fernsehsessel, in der einen Hand sein Gin Tonic, in der anderen die Zigarette. Jetzt hatte er das Gewehr gehoben, das Boot schaukelte, der Bärenkopf war herumgefahren und musterte ihn, denn der Kopf hatte Augen, und in diesen Augen lag unsagbare Überraschung und vielleicht auch Entsetzen, denn was war wohl dieses Stück Schrott, das da auf ihn zutrieb, mit zwei Menschen darin, Menschen mit Gewehren  ...
    »Ron nie !« rief

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