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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Verbie. »Nicht, nicht, Ronnie – Pan, nein!« Und noch bevor er diese Störung registrierte, hatte sie sich auf dem Sitz herumgedreht und nach dem Gewehr gegriffen, womit er sein Ziel verlor, denn im entscheidenden Augenblick zuckte er, und dann schlug ihm der Kolben gegen die Schulter, als wäre die Kugel zum falschen Ende herausgekommen, gleichzeitig sah er, wie sich der Bärenkopf in einer rosafarbenen Schaumwolke abwandte. Er hatte ihn getroffen – oder nein, gestreift hatte er ihn, das Vieh hatte jetzt nur noch ein Ohr, und das war Blut, Grizzlybärenblut, das da in langen, rotgefärbten Fingern das Wasser durchzog.
    Verbie ging jetzt auf ihn los, ihre Fäuste hämmerten gegen seine Unterarme, und ihre immer noch nassen Wanderstiefel traten ihm gegen Knie, Oberschenkel und in die Eier, das Boot schwankte und krängte dabei, der Motor hing im Leerlauf wie in einem Wachtraum, als das Heck ein Stück nach rechts kippte und der erste Eimervoll Wasser hereinschwappte. »Du Arschloch! Du verdammtes Arschloch! Was glaubst du denn, was du hier machst? Hat dir dieses Tier irgendwas getan, hä? Was ist bloß los mit dir? Willst du den großen Mann spielen? Ständig mußt du hier den Übermacho markieren!«
    In diesem Moment starb der Motor ab. Zugleich bemerkte Pan, während er mit ihr um das Gewehr rangelte, daß der wuchtige Ottomanenkopf des Bären einen ordentlichen Satz Zähne hatte und daß das Vieh auch keineswegs mehr auf das Ufer zuhielt. Nein, der Grizzly kam jetzt auf sie zu , pflügte durch die Strömung wie ein Torpedo in einem dieser körnigen alten Seekriegsfilme, von denen sein Vater keine Wiederholung verpaßte. Pan warf einen Seitenblick auf Verbie und sah, daß auch sie ihre Position neu bewertete – Verbie , die Mutter der Kommune, die Buddhafrau. Die Braut mit der Kurzhaarfrisur, die nie im Unrecht war. Die sich überall auskannte. Die alles wußte und bereit war, es einem vierundzwanzig Stunden am Tag zu erzählen. Reden war ihr Ding, das war ihr Trip, so hatte sie sich ja auch den Spitznamen Verbie eingehandelt. Jetzt aber trat ein Blick auf ihr Gesicht, der in ihm ein Entsetzen auslöste, wie er es noch nie verspürt hatte, ein Blick, der besagte, daß sie sich verrechnet hatte, daß es ein Fehler gewesen war, sich einzumischen, daß sie ihr blödes Maul zur falschen Zeit aufgerissen hatte und nun mit ihrem Leben dafür bezahlen würde. Und mit seinem.
    Ronnie stieß sie weg, ganz fest. Der Bärenkopf teilte das Wasser und war keine zwanzig Meter mehr entfernt. Es war eine Krise. Die erste echte Krise seines Lebens. Nichts dergleichen war ihm je widerfahren, und sein Herz krampfte sich zusammen, während er an der Starterleine riß und hörte, wie der Motor spuckte und abstarb, spuckte und abstarb. An das Gewehr dachte er keine Sekunde lang. Es lag auf dem Boden des Bootes, wohin es gefallen war, lag da in einer acht Zentimeter tiefen Wasserlache. Ebensowenig dachte er an die Vierundvierziger, die er am rechten Schenkel trug, oder an das Bowiemesser am linken Bein. Die Riemen , das dachte er. Und in einer rasenden Fummelei aus reiner Panik knallte er sie in die Dollen und fing an zu rudern, wie er nur konnte. Was zugegebenermaßen nicht allzu großartig war, denn er hatte keine Riemen mehr in den Händen gehabt – hatte tatsächlich kein Boot mehr gerudert –, seit er zwölf oder dreizehn war. Die Riemen verfehlten das Wasser, spritzten nur auf der Oberfläche. Also zurück damit, aber wieder schlugen sie daneben. Dann aber tauchten sie ein und griffen endlich, das Boot schwang die Nase zurück in die Strömung, und der monumentale, zähnebewehrte Bärenkopf – der schon so nahe gewesen war, drei Meter, keine drei Meter mehr – fiel langsam zurück, Zentimeter für Zentimeter, Meter für Meter, bis Pan den keuchenden Atem des Tiers nicht mehr hören konnte, bis er nichts mehr hörte als das Quietschen der Dollen und das dumpfe, unheimliche Tosen des Flusses.
    Boynton war nicht weiter beeindruckend – eine Ansammlung schmutzfarbener Hütten und Blockhäuser, die alle einen Anstrich brauchten, Sperrmüllhaufen, gerodete Stümpfe, verrostete Pickups, acht bis zehn Motorboote, die entweder auf den Kies hinaufgezogen waren oder im Wasser an ihren Vorleinen tanzten wie die bunten Bänder an einem Kinderfahrrad –, alles leicht zu überschauen, wenn da nicht der Bus gewesen wäre. Der Bus stand keine zwanzig Meter von der dunkel glitzernden Wasserfläche des Flusses entfernt, mittendrin im Unrat

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