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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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in den Augen ein ebenso aufgeregter wie begeisterter Blick. »Kannst schon mal das Ulumesser schärfen, Pamela!« sagte er, preßte die Worte eilig hinaus, als könnte er es kaum ertragen, Atemluft darauf zu verschwenden, und dann schnappte er sich das Gewehr vom Querbalken über ihrem Kopf und flitzte schon wieder zur Tür hinaus, wobei er den Sicherungshebel zurückschob. »Im Garten«, sagte er, »sieh mal in den Garten raus«, dann zog er die Tür hinter sich zu.
    Auch Steve wirkte jetzt erregt, er sprang vom Tisch auf und krachte mit dem Kopf gegen den Querbalken, dennoch rannte er Sess hinterher, während Pamela in den neuen Raum hinübereilte, um durch das Fenster über dem Bett in den Garten zu sehen, in dem dieses seltsame weiße Element auf das Grün der Blätter und das schwarze Nichts der Plastikfolie einpeitschte. Ihr blieb ein kurzer Moment, nicht mehr – nur Sekunden –, um die wuchtige dunkle Gestalt zu erkennen, die sich dort mitten im Schneegestöber an ihrem Gemüsegarten labte wie eine vollgefressene Kuh, dann knallte der Gewehrschuß, und das Vieh sank ohne Umstände, ohne einen Ton zu Boden, einhundertfünfzig Kilo Fleisch, Pelz und Fett frei Haus geliefert, direkt in den eigenen Garten, und sie hatte kaum die Zeit, Freude und Triumph darüber zu empfinden, als sie das Bärenjunge sah. Es war ein Jährling mit dickem Hinterteil, noch schmalen Schultern, und es raste durch ihren Rosenkohl wie eine Kanonenkugel, so schnell, daß der Schuß, den Sess ihm hinterherjagte, keine Chance hatte, es einzuholen.
    Der Schnee hielt sich nicht – ein paar Handvoll weißer Kügelchen, die gegen die Fenster prasselten und sich im graugrünen Gewirr der Tundra verloren –, aber es gab einen harten Frost in dieser Nacht, und der nächste Morgen dämmerte eiskalt. Sess war schon bei Tagesanbruch wach und beschäftigte sich draußen mit den Hunden. Er hatte jetzt wieder fünf Tiere, was ausreichte, um einen Schlitten über die fünfundsechzig Kilometer seiner Fallenstrecke zu ziehen, aber er sagte immer wieder, er hätte gern noch zwei Hunde mehr, damit es schneller ginge, damit er am Samstagabend mit seiner Frau den Fluß hinunter nach Boynton flitzen könnte, für ein paar Drinks und einen Hamburger und dazu vielleicht ein Tänzchen zum Klang der Musicbox. Pamela hatte gespürt, wie die Matratze schaukelte, als er aufgestanden war, und sie hatte sich das himmlische, versöhnliche Aroma von Kaffee aus dem großen Raum um die Nase wehen lassen, aber sie war im Bett geblieben, eingewickelt in warme Felle, und hatte zugehört, wie das Blockhaus zum Leben erwachte. Sess im Nebenzimmer hatte einen ordentlichen Lärm veranstaltet: Metall schepperte gegen Metall, der dumpfe Knall der großen rußschwarzen gußeisernen Pfanne auf dem Ofen, und dann das scharfe Prasseln von bratendem Fleisch – Bärenfleisch, schwimmend im eigenen Fett, das das Tier nun nicht mehr draußen in den Wasserläufen und Sümpfen mit sich herumschleppte. Der Geruch war neu für Pamela, oder vielmehr weckte er alte Erinnerungen – sie hatte kein Bärensteak mehr gegessen, seit sie als kleines Mädchen im Sommer zelten gewesen war, mit ihrer Mutter und Pris und dem Mann mit dem graugefleckten Bart und den blitzenden blauen Augen, den sie Daddy nannte –, und ihr olfaktorisches Gedächtnis löste prompt Hunderte weitere Erinnerungen aus, bis sie wieder in den Schlaf glitt, vor dem inneren Auge das Bild ihres Vaters, wie er auf die Lichtung gestolpert war, das Hinterteil eines Schwarzbären über die blutverschmierte Schulter geworfen, das Grinsen so breit wie der Koyukuk River.
    Sie erwachte von Sess’ Stimme, laut und klar über dem Gebell der Hunde und dem Krachen und Knirschen eines widerspenstigen Gegenstands, der durch das hohe Gras und die Weiden gezerrt wurde. »Jii!« rief er. »Ji-hii, ihr Mistkerle!« Und: »Haa! Haa! hab ich gesagt. Haa! « Sie hob den Kopf und spähte zum Fenster hinaus. Die Sonne knallte auf den Vorplatz, auf den Garten, auf die immer noch qualmenden Wärmefeuer. Die meisten Pflanzen standen noch und waren grün, obwohl sie bei den Buschbohnen und den Kirschtomaten ein paar vom Frost geschwärzte Blätter sah. All das dämmerte ihr gleich im Erwachen – Frost, Wärmefeuer, nur geringer Ernteschaden, Sonnenschein, noch mehr Sonnenschein –, aber sie hatte kaum Zeit, darüber nachzudenken, bevor der huschende Schatten aus Mann, Hunden und Schlitten sich kurz zwischen Fenster und Garten schob und dann wieder

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