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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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verschwunden war. »Haa!« rief Sess. »Haa!«
    Dann stand sie draußen, in Shorts und Sweatshirt, die Uhr, die sie gegen Sess’ Proteste aufgehängt hatte, zeigte 7.48, und der Morgen erwärmte sich allmählich deutlich über die Null-Grad-Grenze. Sie sah Sess nach, der am Waldrand einen Bogen schlug, ein Stück weit am Flußufer entlangjagte, dann wendete und direkt auf sie zuraste, die Hunde warfen sich ins Geschirr, und es gelang Sess, ziemlich genau vor dem Haus zum Stillstand zu kommen, indem er die Bremse auswarf (eine Art Anker, der peitschend und hüpfend umherflog und am Ende eine viele Meter lange Furche in die Erde gepflügt hatte) und die Absätze seiner Stiefel massakrierte, während er Kommandos brüllte und die beiden hinteren Hunde einander in einem der übellaunigen Vierbeinerdispute an die Kehle gingen, wie sie tagtäglich alle fünf Minuten ausbrachen. Sess ließ die Schlittengriffe los und warf sich zwischen die Tiere, teilte Tritte und Flüche aus, bis sie endlich ihr Mütchen gekühlt hatten und hechelnd auf die Hinterläufe sanken. Sess’ Hemd war zerrissen, und von beiden Unterarmen triefte Blut, wo die Hunde nach ihm geschnappt hatten. »Hey, Baby«, sagte er grinsend. »Willst du eine Runde drehen? Ich kann dir mal zeigen, wo Gott wohnt – weißt du, was das heißt?«
    »Keine Sauereien, Sess!«
    Gleich darauf drückte er sie an sich und wiegte sie sanft hin und her. »Du weißt doch, daß ich so was nicht mache«, raunte er ihr ins Ohr.
    Die Hunde sahen sie an, zehn Wolfsaugen fixierten Sess’ Rücken, und Lucius, der Leithund, sah aus, als könnte er mit Leichtigkeit noch zweihundert Kilometer laufen, ohne auch nur heftiger zu atmen. Sess hatte sie vor seinen Trainingsschlitten gespannt, einen schmalen, aber schweren Kasten aus festem feuchtem Holz mit armdicken Espenprügeln als Kufen und an den vier Ecken zusätzlich mit Rädern, die er von kaputten Schubkarren – vielleicht auch von Kinder-Dreirädern – abgeschraubt hatte. Die Räder waren allerdings völlig nutzlos. Der Schlitten wog knapp eine Tonne. Sess wollte die Hunde damit nur trimmen, sagte er immer, ihnen beibringen, als Team zu arbeiten und schwere Lasten zu ziehen.
    »Also, ich hab mir gedacht, ich fahr mit ihnen heute mal auf die Fallenstrecke«, sagte er, »nur ein Stück weit, damit sie sie kennenlernen und was davon wittern können, außerdem könnte ich ein paar Zweige und Gestrüpp wegschneiden und so. Heut abend bin ich zurück. Wird aber wohl spät werden. Richtig spät.«
    Sie war erstaunt. »Mit dem Ding da? Das fällt dir doch auseinander, bevor du drei Kilometer weit bist.«
    Er versuchte gar nicht, es abzustreiten. »Na ja, die Räder werden wohl runter müssen, sobald wir im Moor sind. Ich lasse sie einfach ziehen, bis sie geschafft sind. Ach, und übrigens, das Bärenfleisch mußt du echt auf Teufel komm raus kochen – die Viecher sind noch stärker mit Trichinen verseucht als Schweine.«
    Das wußte sie, wußte es von vor zwanzig Jahren, aber sie sagte nichts. Der Bär war geviertelt, die Stücke hingen von den Latten der Vorratskammer, die Leber hatten sie am Vorabend mit Zwiebeln gebraten verspeist, und das im Sommer angefressene Fett, dicke weißlichgelbe Klumpen, war bereits ausgelassen und zum Auskühlen und Festwerden in Kaffeedosen verstaut.
    »Und dann könntest du«, fügte er hinzu, und das war das letzte, was er zu ihr sagte, »vielleicht könntest du dir mal den Pelz vornehmen – schab ihn auf der Unterseite gut ab, dann ein bißchen spannen und zum Trocknen aufhängen.«
    Später, nachdem sie sich ein Sandwich zubereitet und genug Kaffee getrunken hatte, daß sämtliche Nervenenden unter Strom standen, zerrte sie die Bärenhaut in die Sonne zum Picknicktisch hinüber und schabte mit dem Ulu , das ihr Sess zum Geburtstag geschenkt hatte, das Fleisch von der Lederhaut herunter. Das Ulumesser war ein Werkzeug der Inuit mit halbmondförmiger Klinge und beinernem Griff, ideal zum Abschaben von Pelzen, eine Tätigkeit, die sie in den Wintermonaten vermutlich regelmäßig ausüben würde, wenn ihr Mann die steifgefrorenen Kadaver heimbrachte. Und was empfand sie dabei – wie fühlte sie sich vor dieser stinkenden, floh- und zeckenverseuchten Tierhaut unter ihrem Messer, hier und jetzt, inmitten eines wahren Fliegenhurrikans, im Angesicht von lauter Blut und Schmer, das ihr unter den Nägeln klebte und bis in die letzte Hautfurche ihrer Hände kroch, so daß sie den Gestank nie wieder

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