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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Schwarzgrün der Bäume bis zum rosafarbenen Band der noch in Sonne getauchten Hügel. Die Mondsichel über den Bäumen war blaß wie Eis. Star fluchte und schlug nach einer Mücke an ihrem Knöchel, dann gleich noch einmal, auf dem Oberarm. »Im Ernst?« fragte sie schließlich, drehte sich zu ihm und sah ihm in die Augen. »Ganz im Ernst?«
    Er zuckte die Achseln, als wäre es ihm so oder so einerlei.
    »Nein«, sagte sie. »Vielleicht doch nicht. Ich glaube, er ist ...« Sie stockte, und er hätte sie gern in den Armen gewiegt, aber dieses Stocken ließ ihn zögern, ließ ihn Wut und Haß und Eifersucht verspüren. »Ich glaube, er ist weg«, sagte sie. »Für immer.«
    In diesem Moment hörten sie Motorenlärm vom Fluß her, und sie sahen ungläubig auf, weil es ein Tag des Ankommens und Aufbrechens gewesen war, ein beispielloser Tag in der kurzen Geschichte von Drop City Nord – erst Bosky und Ronnie, dann Verbie, Sky Dog und Dale Murray –, und wer kämpfte jetzt gegen die dunkle Strömung an? Sie sahen zu, wie das Boot – es war ein Skiff, mit flachem Kiel und stumpfem Bug, wie es sie den Fluß rauf und runter zu Dutzenden gab – allmählich Form und Farbe annahm, schließlich dem düsteren Wogen des Flußlaufs entrann und zwanzig Meter vor ihnen auf das Ufer zuhielt. Eine gebeugte, grobknochige Gestalt kletterte über die Sitzbank vom Heck in den Bug, schleuderte irgend etwas an Land, ein schlankes Bündel, das auf die Steine klatschte, und dann säbelten zwei Beine durchs Wasser, und da stand er. »Hey, hallo zusammen«, sagte er, bückte sich nach dem Bündel und richtete sich im schwindenden Licht wieder auf. »Bist du nicht ...?« begann Star, und jetzt waren sie beide auf den Beinen, aber sie kam nicht auf den Namen.
    Marco erwiderte den Gruß, und der Mann kam auf sie zu, das hagere Gesicht vom langen Schirm der Kappe beschattet, in seiner Größe wirkte er ungelenk und herausfordernd, und dann wußte er es: es war einer aus der Kneipe, aus dem Three Pup, und zwar der, den sie Iron Steve nannten.
    Iron Steve trug Gummistiefel und ein kariertes Flanellhemd, und jeder seiner Schritte war ein kleiner Sprung, als wäre der Boden zu seinen Füßen mit Kratern übersät. »Hey, ich will mal hoffen, daß ich euch hier so spät nicht ungelegen komme, aber ich ... Äh, also ... Ich suche Verbie. Ist sie hier irgendwo?«
    Star sagte, klar doch, vermutlich schon, wenn sie nicht schon schlafen gegangen sei, und sie ließ ein unausgesprochenes Fragezeichen am Ende anklingen.
    Iron Steve hob den rechten Arm und damit das mitgebrachte Bündel: steife Läufe und schlaffe rosa Öhrchen, glatte Pelzjacken – Kaninchen, er hielt einen Fang Kaninchen an einem Draht, und Marco mußte an Fische denken, an dunkle, baumelnde Fische, die an den Kiemen aufgehängt waren. »Ich hab ihr die hier mitgebracht«, sagte Iron Steve. »Wollte sie ein bißchen überraschen. Könnt ihr mir sagen, in welchem Zelt sie ist?«
    Star warf Marco einen Blick zu, und sie dachten beide dasselbe: tote Tiere für eine Vegetarierin? Und ausgerechnet Kaninchen – süße Häschen ? Doch dann erkannte Marco das Geniale an dieser Gleichung: Ronnie war weg, keine halbe Stunde war es her, und hier trat schon sein Nachfolger auf den Plan. Minus Pan, plus Iron Steve.
    »Und das hier hab ich ihr auch mitgebracht«, fügte Steve hinzu und streckte die Hand mit einer Rolle Draht und einem Medizinfläschchen aus, das eine Handvoll Streichhölzer zu enthalten schien.
    »Was ist denn das?« fragte Star. Es war inzwischen fast dunkel, die Sonne verschwand hinter der Hügelkuppe, die Mondsichel wurde heller. Sie stand breitbeinig da, die Hände in die Hüften gestützt, und die Moskitos bedeuteten ihr gar nichts, obwohl sie sie umtanzten und umschwärmten und ihre sirrende Melodie vor dem Hintergrundgeräusch des Flusses spielten.
    »Das? Och, nur ein kleines Geschenk, das sie unbedingt haben sollte – falls sie sich mal verirrt.«
    »Verirrt?« fragte Star nach.
    Iron Steve zog die Hand zurück und senkte den Kopf. »Ja, klar«, sagte er. »Jeder hier verirrt sich mal, ob man nun im Flugzeug notlanden muß, ob es einem die Spuren im Schnee verweht oder ob man einfach nur irgendeinem Vieh hinterherjagt, und dann dreht man sich um und kann den einen Baum nicht mehr vom nächsten unterscheiden.«
    »Also, was ist das?« fragte Marco. »Eine Art Kompaß?«
    »Ach Quatsch, nein«, sagte Steve grinsend, und auf seiner Handfläche lagen die Rolle Draht und die

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