Drop City
draußen im Wald gelebt und niemandem was getan hat? Was macht ihr damit?«
»Sie essen es auf«, sagte Star.
»Nicht doch!« rief Merry, und ihr Blick wechselte zwischen Star und Pamela hin und her.
»Stimmt’s, Pamela?«
Sie nickte nur, weil sie gerade wieder versuchte, die unhandlich große Weinflasche zum Mund zu führen, und was sie dabei empfand, das war ein Gefühl wie: zum Teufel damit, zum Teufel mit allem, mal echt.
Die Fliegen saßen inzwischen zu Hunderten auf dem rohen Fleisch an der Innenseite des Fells, aber die würden auch bald alle tot sein, der Winter konnte sie jeden Tag umbringen, und die Moskitos, die einem von früh bis spät im Minutentakt nach dem Blut trachteten, die würden mit ihnen verschwinden. Merry wiegte sich leicht hin und her, zog sich die Hutkrempe ins Gesicht und nahm dafür die übergroßen rosa Scheiben ihrer Sonnenbrille ab, um Pamela besser ansehen zu können. »Du meinst, das stimmt ehrlich? Ihr – also ich meine, die Menschen hier –, ihr eßt tatsächlich Bären ? So was wie Pu der Bär? Meister Petz? Yogi Bär? Smokey the Bear? Verhütet Waldbrände?« Sie kicherte. »Nein, ihr bindet mir einen Bären auf. Komm schon, sag mir, daß es nur Spaß ist.«
Pamela spürte, wie der Wein durch ihre Adern brauste. Sie wollte das hier nicht, hatte es nicht nötig – sie wollte einfach nur loslassen. Daher zuckte sie die Achseln. »Also«, sagte sie, »ich hol uns jetzt mal Becher«, aber sie rührte sich nicht vom Fleck. Die beiden Hippiefrauen sahen sie unverwandt an. »Na schön, ja«, sagte sie seufzend. »Ja, wir essen Bären, genau wie alles andere, was wir hier vor die Flinte kriegen: Elche, Kaninchen, Enten, Fische, Luchse – schmecken besser als Kalbfleisch, sagt Sess –, sogar Stachelschweine und Bisamratten, und auch wenn ihr’s mir nicht glaubt, ich schwöre, daß Bisamratte zarter und saftiger ist als jedes andere Fleisch ...«
Merry musterte sie mit unverblümtem Entsetzen. »Aber ein anderes Lebewesen einfach zu töten, eine lebendige Seele, die mitten auf ihrem karmischen Weg ins Nirwana ist« – hier hielt sie kurz inne, um mit geschicktem Schlag eine Mücke auf ihrem Handgelenk zu zerquetschen –, »das könnte ich niemals tun.«
»Hast du aber eben.«
»Was? Ach das. Na schön, ich bin sogar deiner Meinung: ich hätte das nicht tun sollen, und ich wünschte auch, ich müßte es nicht – kann’s schon gar nicht mehr erwarten, bis es Winter wird und Mutter Erde sie alle zur Ruhe bettet, ehrlich! –, aber Insekten sind eine Sache, und ich weiß schon, im Dschainismus haben sie auch vor denen Achtung, trotzdem ist so was wie ein Bär doch etwas ganz anderes. Die sind doch beinahe menschlich, oder nicht?«
Pamela dachte eine Weile darüber nach, hinter ihr surrten die Fliegen, das Fleisch hing in der dunklen Kammer, und die weißlichgelben Klumpen Fett wurden in den Dosen auf dem Küchenregal langsam hart. Sie dachte an die Fallen, an die Füchse und Coyoten, die sich das eigene Fleisch, die Knochen und Sehnen durchnagten, um den stählernen Fängen wieder zu entrinnen, an das Bärenjunge, das Sess zum Waisen gemacht hatte, dabei war das Jungtier noch zu klein, um sich eine Höhle zu suchen, und deshalb dazu verdammt, an Erschöpfung und vor Kälte zu sterben, wenn die lange Nacht hereinbrechen würde. »Ja«, sagte sie schließlich, »ja, das sind sie.«
Und dann war alles wieder in Ordnung. Sie raffte das Bärenfell zusammen und warf es über das Gestell zum Lachsräuchern wie ein vor Dreck starrendes Badetuch, verscheuchte die Fliegen vom Tisch und holte drei Trinkbecher und eine Flasche von Sess’ Rumvorräten heraus. »Übrigens war Iron Steve gestern zum Abendessen hier, und ratet mal, über wen er pausenlos geredet hat?« Und das war doch mal ein Gesprächsthema. Der Wein in der Flasche wurde weniger, der Rum machte die Runde, und die heulenden Hunde von Klatsch und Tratsch bellten vor jedem Baum.
Es war schon spät am Nachmittag, als Merry und Star zum Ufer wankten, dabei stießen sie sich immer wieder von den Bäumen ab, wie Flipperkugeln, die von einem Federpuffer zum nächsten prallten, in einem Flippergerät, so groß wie die ganze Welt, und Pamela sagte: »Ein Glück, daß ihr nicht Auto fahren müßt«, und darüber lachten sie sich alle drei kaputt, bis sie Kopfweh hatten und das Gefühl bekamen, sie hätten genug gelacht, zumindest für diesen Tag. Pamela sah ihnen nach, als sie sich abstießen, sah das Kanu unsicher in der
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