Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Den Kopf nach hinten geworfen, die Brüste platt auf die Rippen gegossen, und dann das viele Haar – sie zog rasselnd die Luft ein und prustete sie wieder aus, dabei traf sie alle hohen Töne, als spielte sie ein Trompetensolo ohne Trompete. Aber das war schon in Ordnung. Er verzieh ihr das. Lydia, sein Süßes und sein Saures. Er zog die langen Unterhosen über, dann streifte er sie wieder ab, untersuchte seine Leistengegend noch einmal ganz genau und rubbelte sich fest über die Schamhaare, kein Problem, nichts zu sehen weit und breit, und dann zog er sich eilig an, denn er hatte ja noch sechs lange Kilometer zu Fuß vor sich, ehe er selbst schnarchen konnte. Er warf sich in seinen Parka, heiß und verschwitzt, und wollte gerade in die Nacht hinausstürmen, ja er spürte richtige Vorfreude auf die Kälte draußen, da fiel ihm wieder Stars Rucksack ins Auge.
    Schon seit langem – mindestens seit seinem Auszug aus Drop City – dachte er daran, abzuhauen, auszusteigen, dem ganzen Spielchen den Rücken zu kehren und sich zur Abwechslung mal wieder ein wenig Zivilisation zu gönnen, und er hatte seinen Eltern schon drei Briefe geschrieben, in denen er um Geld bettelte, um eine Fahrkarte, Reiseschecks, egal was, aber er hätte ebensogut tot sein können, soviel kümmerte er sie. Also Stars Rucksack. Da baumelte er vom Haken, gleich neben Lydias Handtasche. Er wußte etwas über diesen Rucksack, und Star ahnte nicht einmal, daß er es wußte, aber das hätte sie besser ahnen sollen, denn wie konnte sie denn erwarten, daß er wochenlang mit ihr herumreiste, die vielen Nächte auf der Straße, in Zelten und Motels, Imbißbuden und Fastfood-Läden, auf Tankstellen – Wo war doch gleich das Damenklo? –, ohne den Inhalt ihres Rucksacks zu kennen wie den eigenen? Und es war ja auch nicht wie Diebstahl, nicht richtig, denn diese dreihundert Dollar, die da in einer Socke ganz unten in der innersten Tasche versteckt lagen, waren jene dreihundert Dollar, die sie ihm vorenthalten hatte, und wie oft war schließlich er für Frühstück, kalte Getränke oder Zigaretten aufgekommen, wie oft hatte er das Motel oder die Campingplatzgebühr bezahlt? Einen kurzen Moment lang fühlte er sich schlecht dabei – es ging hier immerhin um Star, die Frau, die er liebte und immer geliebt hatte, auf jeden Fall im vergangenen Jahr, und diese drei Geldscheine waren ihr Notgroschen, ihre Rückfahrkarte, und jetzt würde sie sich hier einmotten lassen können. Aber zuerst hatte ja sie ihn eingemottet, oder etwa nicht? Sie hatte sich für Marco entschieden. Ein Riesenfehler. Und heute abend diese kleine Show mit Lydia eingefädelt, coram publico , und wenn das kein Laufpaß gewesen war, was dann?
    Er fand die Tür, fand die Nacht. Vor dem Mond stieg der Rauch auf, die Lichter aus den Fenstern von Drop City Nord schnitten helle Schneisen aus den Schatten. Es war niemand draußen vor den Hütten, kein Geräusch zu hören außer dem Knirschen seiner Stiefel auf dem kläglich nachgiebigen Schnee. Pan griff noch einmal unter den Parka, um den Schritt seiner Hose zurechtzurücken – aber kein Jucken, noch nicht –, dann marschierte er los, über die gefrorene Fläche des Flusses.

28
    Die Luft war frisch, und es tat ihm gut, hier draußen zu sein, er atmete tief durch und bewegte sich bewußt durch die Landschaft, als gehörte er hinein, so vital wie die Wölfe, die Hasen und die Elche, und es tat auch irre gut, der abstumpfenden Gemeinschaft von Drop City wenigstens für ein paar Stunden zu entkommen. Den meisten der anderen reichte es, mit einem Kartenspiel, einem Skizzenblock oder einer Gitarre herumzusitzen, während die Stunden dahinraschelten wie abgeworfene Haut, und wozu die Eile, Mann, bleib doch mal cool, aber Marco besaß eben eine völlig andere Natur. Er kannte keine Entspannung. Er fühlte sich gelangweilt, stranguliert. Er mußte hinaus, mußte die Landschaft erkunden, seine Sinne schärfen, etwas dazulernen . Die ausgewaschenen Gesichter von Drop City sahen überrascht zu ihm auf, der Wind heulte in den Bäumen, das Feuer war geschürt, das Risotto bald fertig, und sogar der Hund fühlte sich zu schlaff, um den Kopf vom Boden zu heben. Du willst wirklich da raus? Bei dem Wetter?
    Sechs von ihnen schrieben an einem Roman, oder vielleicht waren es sogar sieben, je nachdem, ob das vordergründige, etwas zusammenhanglose Skript in Alfredos Notizbuch sich am Ende als Belletristik oder als Traktat über die Freuden des Kommunelebens

Weitere Kostenlose Bücher