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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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niemand wußte, ob sie nun verheiratet, geschieden, Jungfrau oder Exnonne war. In einem Lederhalfter, das ihr lässig über den Gürtel hing, trug sie eine Pistole, und in Sess’ Augen war sie deshalb eine besonders gefährliche Spinnerin, die Sorte, die extra nach Norden kam, um ihre Wildwestphantasien in Technicolor auszuleben. »Wozu hast’n die Knarre dabei?« hatte er gefragt, als er sein zweites Bier bestellte. Sie hatte ihn trotzig angesehen: »Zum Schutz.« Und er hatte wissen wollen: »Vor was denn?« Darauf der steinerne Blick, der Blick von tausend Kneipen und Tanzschuppen und noch mal tausend Nächten ganz allein, mit nichts vor sich als dem schwarzen Loch des Fernsehers. »Nicht vor den Bären«, hatte sie gesagt. »Und auch nicht vor Elchen und Wölfen. Sorgen macht mir nur die Bestie auf zwei Beinen.«
    Jetzt sagte sie: »Eine neue Frau? Ich wußte ja gar nicht, daß du eine alte hattest.«
    Sollte er diesen Spruch einer Antwort würdigen? War es die Zeit und die Mühe wert? Wollte er sich ungebührlich aufführen, ausrasten und ihr sagen, sie solle scheißen gehen, und dazu vielleicht noch Skid Dentons Kopf über den Tresen dribbeln, als kämpfte er sich gerade durch eine aggressive Verteidigung unter dem Korb? Nein. Nein, das wollte er nicht. Tatsache war, daß er noch nie eine Ehefrau gehabt hatte, weder alt noch neu, denn die letzte Frau – Jill –, die einen lässigen Sommer und einen harten, herzzerreißenden Winter in seinem Vier-mal-vier-Meter-Blockhaus mit allen Schikanen, oder zumindest dem Nötigsten, geblieben war, hatte ihn schwer blamiert. Die Leute schüttelten immer noch den Kopf, als wäre das Ganze eine Art Witz gewesen, eine Lachnummer, die er – und auch Jill – nur zu ihrer Belustigung abgezogen hatten. Eine Seifenoper. Eine Fernsehshow.
    Er sammelte sein Wechselgeld vom Tresen, wobei er Probleme mit den kleinen Zehn-Cent-Stücken hatte, weil er sich an diesem Morgen mit dem Taschenmesser die Fingernägel geschnitten hatte, als Teil eines allgemeinen Versuchs, die äußere Erscheinung aufzupolieren. Er schob sich das Hemd in die Hose, wirbelte herum und hielt auf die Tür zu. Dort blieb er stehen, die Tür war schon einen Spaltbreit geöffnet, so daß die Mücken von draußen und die Mücken von drinnen die Plätze tauschen konnten, was ihnen während ihres kurzen Blutsaugerlebens das allerwichtigste zu sein schien. »Vielleicht hab ich ja Glück«, sagte er. »Richtig Glück. Also wünscht mir welches.«
    Während der langen Autofahrt ließ er die Gedanken schweifen und hielt auf irgendwie abstrakte Weise nach Wild Ausschau, dabei hatte er das Seitenfenster offen, um das Land riechen zu können und die Kälte zu spüren, die vom Chatanika River heraufzog. Er traf auf eine Handvoll Autos aus der Gegenrichtung, ein, zwei Camper, aber es war keine vielbefahrene Straße, nicht mal in der besten Saison – also jetzt. Im Winter, wenn es erst geschneit hatte, war die Straße gesperrt, verweht, zugefroren, verschüttet und dicht, und Boynton war dann wie ein Schiff auf See ohne Land in Sicht. Wer rauswollte, der flog. In einem Buschflugzeug, dem die Lackierung fehlte, weil der Lack das Gesamtgewicht um unnötige sechs Kilo erhöht hätte. Man flog also, außer wenn die Temperatur auf unter minus vierzig Grad fiel, das war der Punkt, an dem Treibstoffleitungen zum Zufrieren neigten, und wenn die Motoren keinen Sprit bekamen, holte es einen vom Himmel wie einen Felsblock mit Tragflächen. Aber so war das Leben im Busch, und in Sess’ Augen war es ein geringer Preis für das, was man dafür bekam.
    Als er Fairbanks erreichte, staunte er über den dichten Verkehr: zwei Fahrzeuge links von ihm, drei an einer roten Ampel, Pickups, die in Parkplätze einbogen oder aus ihnen hervorschossen, als wären sie am Start der Rennstrecke von Indianapolis, Frauen, Kinder, Radfahrer, Hunde. Er schärfte sich ein, gut aufzupassen, denn er war das Autofahren nicht gewohnt und mochte es auch nicht allzusehr – im Grunde hegte er ein ordentliches Mißtrauen gegen Menschen, die gern am Steuer saßen.
    Außerdem war er betrunken, jedenfalls restalkoholisiert, denn er ging davon aus, daß die Wirkung von dem, was er sich im Roadhouse reingeschüttet hatte, während der Fahrt verflogen war, auch wegen des Schinken-Käse-Sandwiches, das ihm Lynette mit der ganzen Sorgfalt einer Imbißveteranin zubereitet hatte. Die Stadt streckte die Klauen nach ihm aus. Die Ampeln machten ihn ganz hippelig. Aber er wußte

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