Drop City
bestimmt nicht wecken. Denn Lydia würde dann nur eines wollen, und dieses eine war er in seiner derzeitigen Verfassung nicht willens, ihr zu geben. Und während er nach dem letzten unbemerkten Drittel, Neuntel oder auch nur Siebenundzwanzigstel einer Klopapierrolle stöberte, die seine Brüder und Schwestern ihm noch nicht geklaut hatten, sah er aus den Augenwinkeln zu ihr hinüber und stellte fest, daß sie auch ziemlich fett war, zu fett, ganz und gar nicht sein Typ. Merry war sein Typ. Star war sein Typ – und wo war die überhaupt?
Am Abend zuvor hatte er sie nicht auftreiben können, obwohl er sie überall gesucht hatte, außer im hinteren Haus, wo die Schwarzen und Sky Dog ihre schlechte Laune pflegten, Scheibenkäsesandwiches mit saurem Rotwein runterspülten und in der dünnen Nachtluft den verwehenden Resten des Dufts von gegrilltem Wild hinterherschnupperten, aber dort war sie bestimmt nicht, das wußte er so gut wie jedermann auf Drop City. Zufällig hatte er Merry getroffen – sie und Jiminy saßen in Norms Schlafzimmer im oberen Stock und lasen einander Gedichte vor –, aber Merry sagte, sie sei überhaupt nicht in Stimmung zum Feiern, weil allein der Gedanke an eine Grillparty allem zuwiderlaufe, woran sie glaubte, und dann hatte sie ihn einen Fleischfresser genannt, vielleicht auch einen Kannibalen, doch ihr Lächeln dabei besagte: Alles schon verziehen, aber jetzt laß mich in Ruhe, ich lese Gedichte . Für Jiminy. Also suchte sich Ronnie andere Gesellschaft und mißbrauchte weiterhin diverse illegale Substanzen, bis der ganze Tag in die Nachspielzeit ging und er irgendwann in den dunklen Tiefen dieses Zimmers gelandet war, neben der Matratze ein Räucherstäbchen und eine phallische Kerze und über sich Lydia: nackt und behaart und feucht und mit seinem Schwanz in der Hand, als gehörte er ihr.
Und jetzt brauchte er Klopapier. Dringend. Er fand seine abgeschnittenen Jeans und zog sie über, scheiß auf das Hemd und die Schuhe, ihn packte hier wirklich bittere Not. Er dachte: Blätter, ich nehme einfach Blätter , als Lydia die veilchenblauen Elizabeth-Taylor-Augen aufklappte. »Oh«, sagte sie. »Was? Ach, du bist das.« Und schon war sie auf Händen und Knien, reckte sich ein wenig, ihre Ballontitten hingen unter ihr wie Luftschiffe, und sie sagte: »Komm her zu mir, Ronnie, Pan , komm doch, halt mich mal fest, nur eine Minute lang, ja? Eine Minute Zeit wirst du doch haben, oder?«
Er hatte keine Minute Zeit. Er hatte nicht mal fünfzehn Sekunden. Dieses Reh, voller Wildfleischprotein, harter Knorpel und dem ganzen Wald- und Wiesenfett, es nahm jetzt seine Rache. Wieder verkrampfte sich sein Magen, das Bild einer Gasexplosion im Erlenmeyerkolben, die er im Chemieunterricht produziert hatte, machte sich in seinem Gehirn breit, und er stürmte aus dem Zimmer, quer durch das Haus – aufgeregte Mienen: huch, das ist ja Pan, was hat er’s denn so eilig? – und raus über den versengten Rasen und rein in das nächste Gebüsch. Und dann konnte er sich endlich hinhocken, kein Gedanke an Rieselfelder oder verstopfte Klos oder Luxustoiletten, und in einem wüsten, unbeherrschbaren Schwall schoß alles aus ihm heraus.
Er dachte, er würde sich im Laufe des Tages besser fühlen, aber da irrte er. Sein Kopf raste, und in seinen Eingeweiden rumorte es weiter. Und obwohl er sich nur langsam und bedächtig durch einen Teller Reispampe arbeitete, Korn für Korn, ging sogar diese Mahlzeit ohne Umweg durch ihn hindurch. Schließlich verbrachte er den Spätnachmittag und den Abend am schwappenden grünen Teppich des Pools und verweigerte jegliches Gespräch sowie Einladungen zum Essen (von Merry), Vögeln (von Lydia) oder Inhalieren von Rauschmitteln (von einem halben Dutzend Leute, sowohl Männer wie Frauen). Dann und wann, wenn die Sonne auf ihn niederhämmerte, planschte er lethargisch im Schwimmbecken, aber selbst das ließ seine Kopfschmerzen pulsieren und krampfte ihm die Gedärme zusammen, deshalb kam er die ganze Zeit nicht richtig hoch, bis die Jalousien sich über dem Tag schlossen und die Dämmerung nahte, um in den Bäumen zu hocken wie ein Geier. Ronnie genehmigte sich ein paar Schluck von dem Tequila (Don Ricardo especial reposado), den er unter dem Autositz versteckt hielt, und wanderte über den Rasen, um die Überreste seines Rehs zu inspizieren. Kein Mensch war in der Nähe, und das Feuer, das er und Marco aufgebaut hatten – das Feuer zum Räuchern, nicht das für den Grill, denn
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